Sag mir, wo die Mädchen sind
abgeschoben zu werden, denn das würde sie sehr wahrscheinlich das Leben kosten. Obwohl sie tiefgläubig sind, lehnen sie die Machtpolitik des gegenwärtigen Regimes in ihrem Land ab. Deshalb müssen sie sich mit den finnischen Behörden gutstellen.»
«Ich würde mich über all das gern noch ausführlicher mit dir unterhalten. Wie wäre es Anfang nächster Woche? Bist du in Espoo?»
«Am Montag fahre ich wahrscheinlich nach Helsinki, sonst habe ich nichts vor. Sind die Ermittlungen vorangeschritten? Den Zeitungsberichten zufolge tappt die Polizei im Dunkeln.»
«Man kann den Medien nicht alles verraten. Ich melde mich Anfang der Woche. Ein schönes Wochenende!»
Im Iran hatte es im Winter Unruhen gegeben, mehrere Gruppen strebten an die Macht, und die weltlichen Kräfte lehnten sich gegen die islamische Regierung auf. Es war also erneut mit Flüchtlingen zu rechnen. Meine Schwester Eeva hatte als Kind die schöne Kaiserin Farah bewundert und ganz und gar nicht verstanden, wieso bei ihrem Finnlandbesuch gegen sie und den Schah demonstriert wurde. Sie sagte, das sei ihre früheste Kindheitserinnerung. Ich war immerhin zwei Jahre älter, hatte aber keinerlei Erinnerung an den Staatsbesuch. Offenbar hatte ich mich als Kind nicht mit Kaiserinnen, sondern mit ganz anderen Gestalten identifiziert.
Puupponen kam mit wichtiger Miene aus unserem Ermittlungsraum und lief zur Treppe. Ich warf einen Blick auf mein Handy, fand aber keine SMS von Ruuskanen vor, die uns zur Vernehmung beordert hätte. Puupponens Eile musste also einen anderen Grund haben.
Als ich in mein Dienstzimmer zurückkehrte, saß Vala in der gleichen Stellung im Sessel wie bei meinem Weggang. Ich verspürte den Drang, ihn am Nacken zu fassen und rauszuwerfen.
«Ich will den Schmuck sehen», verkündete Vala. «Er muss untersucht und in Sicherheit gebracht werden. Wann machst du Feierabend?»
«Das weiß ich wirklich nicht. Und der Schmuck geht dich nichts an. Kapierst du? Wir haben beide Ulrikes Tod mit ansehen müssen, aber der Schmuck hat damit nichts zu tun. Er ist nur ein Erinnerungsstück.» Vala fiel mir ins Wort.
«Warum hat Ulrikes Mutter ihn dir dann so lange nach dem Tod ihrer Tochter geschickt? Warum nicht zum Beispiel als Weihnachtsgeschenk?»
«Vielleicht hat sie es nicht früher über sich gebracht! Oder sie hatte keine Adresse! Ich stecke mitten in einer Mordermittlung; ich habe Wichtigeres zu tun, als mir einzureden, dass Ulrikes Schmuck ein Geheimnis birgt. Geh jetzt bitte.»
Vala stand so plötzlich auf, dass ich instinktiv zurücktrat, weil ich fürchtete, er würde sich auf mich stürzen. Aber das tat er denn doch nicht. Er starrte mich nur an und brüllte:
«In was für einer Seifenblase lebst du eigentlich, zum Teufel! Erst riskierst du dein Leben, um in Afghanistan an einer Eröffnungsfeier teilzunehmen, bei der man dich gar nicht gebraucht hätte. Um ein Haar hätte eure Fachzeitschrift einen Nachruf auf dich drucken müssen. Dabei hätte dir klar sein sollen, dass es in Afghanistan kurz vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl noch unruhiger sein würde als sonst. Und jetzt verschließt du die Augen vor einem klaren Fakt: Der Schmuck ist nicht bloß ein Schmuck, er ist eine Botschaft!»
Valas gebräunte Haut furchte sich, am Haaransatz bildeten sich Schweißtropfen, und je mehr er sich aufregte, desto intensiver wurde der Geruch seines Rasierwassers. Ich hatte nichts zu befürchten, das Gebäude war voller Kollegen, die mir bei Bedarf zu Hilfe eilen würden, aber die Vorstellung, dass Vala bei mir zu Hause auftauchen könnte, um sich den Schmuck anzusehen, war mir unerträglich.
«Auch wenn du afghanische Polizistinnen ausgebildet hast, scheinst du keinen Begriff davon zu haben, wie hoffnungslos die Situation dort ist. Drogenbarone und Taliban bilden eine unheilige Allianz, die den Interessen beider Seiten dient, und die internationalen Drogenhändler hoffen, dass es den westlichen Staaten nie gelingen wird, dem Land Frieden und Demokratie zu bringen. Die militärische Führung Finnlands bestreitet, dass wir uns im Krieg befinden, obwohl die ganze Zeit Soldaten und Zivilisten sterben. Auch du verschließt davor einfach die Augen und willst mir nicht helfen.»
«Bist du wirklich nur in Urlaub, oder hat man dich nach Hause geschickt?»
«Was willst du damit andeuten? Verdammt noch mal, natürlich habe ich Urlaub! Um die Monatsmitte gehe ich zurück. Ich komme da erst weg, wenn alle finnischen Truppen abgezogen
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