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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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angekommen, hatte auf Sylvia Sandelins Mailbox eine Bitte um Rückruf hinterlassen und mich ins Intranet eingeloggt, als die Zentrale anrief.
    «Eure Besprechung ist offenbar beendet, denn Ruuskanen ist gerade zum Rauchen nach draußen gegangen. Hier unten wartet ein ungeduldiger Besucher auf dich, ein Major Lauri Vala. Ich hatte alle Hände voll zu tun, um ihn daran zu hindern, einfach in dein Dienstzimmer vorzudringen. Hast du jetzt Zeit für ihn, oder soll ich ihn bitten, noch zu warten oder morgen wiederzukommen? Ein Termin war wohl nicht vereinbart.»
    Ich überlegte. Vala war ein Sturkopf. Ich wollte auf keinen Fall, dass er mich zu Hause besuchte, der Arbeitsplatz war eine neutralere Umgebung. Im günstigsten Fall würde die SMS von Ruuskanen Valas Besuch vorzeitig beenden. Also sagte ich, ich würde kommen und ihn abholen. Zuvor ging ich zur Toilette. Das Gesicht, das mir im Spiegel entgegenblickte, brauchte dringend ein wenig Kosmetik. Ich kehrte in mein Zimmer zurück, holte den Abdeckstift aus der Handtasche und zog mir auch noch die Lippen nach. Es wurmte mich, als mir klarwurde, dass ich mich nur wegen Vala herrichtete – nicht, um ihm zu gefallen, sondern um nicht so zu wirken, als sei ich von der Arbeit derangiert. Valas Gerede vom angestammten Platz der Frau hatte mich sogar inmitten meiner Trauer geärgert, und ich wollte ihm nicht den Eindruck vermitteln, eine Mordermittlung ginge über meine Kräfte. Ich nahm die Fotos von Antti und den Kindern vom Tisch und legte sie in die Schublade. Sie gingen Vala nichts an. Vielleicht wäre es ohnehin besser, sie wieder mit nach Hause zu nehmen.
    Ein Teil der finnischen Friedenstruppen war schon Ende Oktober des letzten Jahres, vor dem zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahl, abgezogen worden, doch Vala war in Afghanistan geblieben. Im Februar waren die Truppen ausgewechselt worden, aber da Vala mir gemailt hatte, er habe Urlaub, musste sein Einsatz noch anhalten. Nach den Ereignissen Anfang Oktober war ich nicht mehr nach Afghanistan eingeladen worden, und auch von der Polizeischule kamen nur selten Nachrichten, obwohl vereinbart war, dass dem finnischen Innnenministerium als Kooperationspartner regelmäßig Bericht erstattet wurde. Die Schule war weiterhin in Betrieb, wenn auch unter schwierigen Bedingungen, denn sowohl die Drogenbarone als auch die Taliban taten alles, um ihre Tätigkeit zu sabotieren.
    Ich ging die Treppe hinunter. Durch die Glastür sah ich Vala mit verschränkten Armen und gefurchter Stirn vor dem Plüschpolypen stehen. Er trug eine Felduniform mit Tarnmuster, und mir ging auf, dass ich ihn nie in Zivilkleidung gesehen hatte. Im Urlaub müsste er sich eigentlich in Zivil kleiden dürfen. Wollte er sich durch die Uniform von den anderen abheben? Seine Haare waren noch kürzer als bei unserer letzten Begegnung, zwei Millimeter lange Stoppeln, grauer, als ich sie in Erinnerung hatte. Als ich die Tür öffnete, fuhr er herum, als hätte er einen bewaffneten Angreifer erwartet.
    «Guten Tag, Major Vala.» Ich streckte ihm die Hand hin, die er so fest drückte, wie ich es von ihm gewohnt war.
    «Kommissarin Kallio. Es ist schon einige Monate her. Gibt es hier einen Ort, wo wir ungestört reden können?»
    «Mein Dienstzimmer.» Obwohl ich es erst vor einigen Tagen bezogen hatte, empfand ich es bereits als mein eigenes Zimmer. «Hast du schon einen Besucherausweis bekommen? Gut, dann gehen wir.» Ich öffnete die Tür und sprintete die Treppe hinauf. Valas Springerstiefel polterten hinter mir her, der Besucherausweis, der ihm um den Hals hing, schlug gegen die metallenen Uniformknöpfe. Auf unserem Gang kam uns Koivu entgegen.
    «Ich hole gerade Kaffee und Berliner, soll ich für dich und deinen Besucher auch etwas mitbringen?», fragte er höflich, ohne seine Neugier verbergen zu können. Ich hatte ihm so viel über Lauri Vala erzählt, wie es die Schweigepflicht erlaubte. An Valas Brust stand sein Familienname, insofern unterschied sich die Uniform von der, die er in Afghanistan getragen hatte. Dort war es für die Soldaten besser, namenlos zu sein.
    «Möchtest du etwas?», fragte ich Vala.
    «Nein, danke. Bei der Polizei ist der Kaffee deutlich schlechter als bei der Armee, und Berliner habe ich seit meiner Konfirmation nicht mehr gegessen.» Offenbar war er ein Mann, der auf seine Linie achtete.
    «Dann nicht», sagte Koivu. «Maria, ich hätte eine Kleinigkeit zu bereden, wenn du Zeit hast. Am liebsten vor Ruuskanens großer

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