Sag mir, wo die Mädchen sind
viel zu groß. Zudem wollte ich nicht das Symbol einer Religion tragen, über die ich im Ungewissen war. Auch den mit zwei Aquamarinen besetzten silbernen Haarschmuck von Anttis Großmutter hatte ich nie benutzt. Im Übrigen enthielt die Schatulle billigen Ohrschmuck und Krimskrams aus meiner Punkerzeit. Obwohl es sich bei Ulrikes außergewöhnlicher Halskette zweifellos um eine Sonderanfertigung handelte, war ich nicht auf die Idee gekommen, sie hinter Schloss und Riegel zu verwahren.
«Er ist also nicht abgeschlossen. Wie kannst du als Polizistin so dumm sein? Bring den Schmuck so schnell wie möglich in ein Schließfach, bevor es zu spät ist.»
«Was soll der Blödsinn?»
Vala schüttelte den Kopf. «Ich wünschte, es wäre Blödsinn. Aber es war kein Zufall, dass wir an dem Abend angegriffen wurden. Die wussten, dass Ulrike Müller im ersten Wagen saß. Die Bombe, die sie getötet hat, war nicht für irgendwen von den ISAF -Truppen oder den Nato-Verbündeten bestimmt gewesen.»
Sofort kehrte der Abend auf der Straße von Dschalalabad nach Kabul überdeutlich in mein Gedächtnis zurück. Valas Anwesenheit rief mir den Rauchgeruch und das Mündungsfeuer in der Dunkelheit in Erinnerung. Seit dem Abend bei den Koivus hatte ich Ulrikes Schmuck nicht mehr angelegt, er hatte zu schwer an meinem Hals gehangen.
«Ulrike wurde getötet, weil sie zu viel wusste. Ich bin sicher, dass der Schmuck an dich geschickt wurde, weil er eine verborgene Botschaft enthält, aus der hervorgeht, weshalb dieses Wissen gefährlich war.»
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10
D er Krieg hatte in Lauri Valas Kopf tatsächlich einiges durcheinandergebracht. Die Sendung mit dem Schmuck war mehrfach überprüft, durchleuchtet und mit Metalldetektoren untersucht worden. Vermutlich hatte man auch den Umschlag geöffnet und den Inhalt inspiziert, bevor die Sendung an mich weitergeleitet wurde. Zudem hätte Helga Müller wertvolle oder gefährliche Informationen wohl kaum per Post geschickt.
«Ulrike Müller war eine deutsche Polizistin. Was hat sie dir über ihre Mutter erzählt?», erkundigte sich Vala. Ich versuchte, mich zu erinnern. Ich hatte Ulrikes Tod unter den Dingen eingeordnet, an die ich momentan nicht denken wollte, weil der neue Job meine volle Aufmerksamkeit forderte.
«Nicht viel. Ich weiß, dass ihre Mutter Witwe und pensioniert ist.»
«Und vor der Pensionierung? Wo hat sie gearbeitet?»
«Keine Ahnung.»
«Helga Müller war ebenfalls Polizistin. Ist es nicht seltsam, dass Ulrike dir das nicht erzählt hat? Warum hat sie es verheimlicht? Es kommt in Deutschland sicher nicht besonders häufig vor, dass die über siebzigjährige Mutter und die vierzigjährige Tochter Polizistinnen sind. Soweit ich weiß, sind bei der deutschen Polizei die Männer immer noch weit in der Überzahl.»
Valas Augen glühten. Er hatte die Hände auf den Knien verschränkt, doch ich sah, dass sie dennoch zitterten. Ich war froh, als mein Handy klingelte; allerdings kam der Anruf nicht von Ruuskanen, wie ich erwartet hatte, sondern von Sylvia Sandelin. Da ich nicht wollte, dass Vala unser Gespräch belauschte, ging ich auf den Flur, obwohl ich ihm zutraute, dass er in meiner Abwesenheit meine Schubladen durchwühlte. Sie waren zwar noch fast leer, aber die Fotos von meiner Familie würde er auf jeden Fall finden.
«Kommissarin Kallio, du hattest um Rückruf gebeten.»
«Ja. Wie du dir sicher denken kannst, geht es um Noor Ezfahani, genauer gesagt, um ihre schulische Ausbildung. Man hat mir berichtet, dass du die Familie überreden musstest, Noor das Abitur machen zu lassen. Stimmt das?»
«Ja. Noor hatte Heini und Nelli um Hilfe gebeten, aber die beiden meinten, die Ezfahanis würden nicht auf sie hören. Also habe ich mich mit Noors Mutter in Verbindung gesetzt, und die hat mir sehr schnell erklärt, in ihrer Familie würden solche Entscheidungen die Männer treffen. Ich musste meinen Standpunkt also Noors Vater und ihrem Großvater darlegen, irgendwelche Brüder waren auch dabei.»
«War es schwierig, sie umzustimmen?»
«Nun ja, es waren mehrere Treffen notwendig, außerdem Besprechungen mit Noors Klassen- und Mathematiklehrerin. Den Jugendschutz brauchte ich nicht auf den Plan zu rufen. Die Angehörigen haben sich beruhigt, als ihnen klarwurde, dass das Studium in Finnland kaum etwas kostet und man auch für den Kauf der Lehrbücher in der Oberstufe finanzielle Unterstützung bekommen kann. Die Ezfahanis fürchten vor allem, in den Iran
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