Sag mir, wo die Mädchen sind
Krankenwagen zu drängen. Man brauchte tatsächlich Polizeikräfte, um ihn davon abzuhalten.
«Machen wir ohne die Frau weiter?», fragte ich Ruuskanen, während ich überlegte, ob wir die Dolmetscherin nicht besser zur Unterstützung in die Klinik schicken sollten. Noor Ezfahani sprach zwar leidlich Finnisch, doch medizinischer Wortschatz war nicht unbedingt das Erste, was man im Sprachkurs lernte. Allerdings war die Klinik in Jorvi groß; eventuell fand sich dort sogar jemand, der Persisch sprach.
In Rahims Gesicht hatte der Schlag seiner Tante Spuren hinterlassen. Ruuskanen trieb die Männer in den Besprechungsraum zurück wie ein Hirtenhund eine Herde Schafe. Im Magen von Vafa, der neben mir ging, rumorte es, der Junge sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Er war achtzehn, also in jedem Land der Welt alt genug, um im Krieg als Kanonenfutter zu taugen, aber der Verlust der Schwester und der Zusammenbruch der Mutter waren offenbar zu viel für ihn.
Als wir wieder im Kreis saßen, erkundigte sich Ruuskanen bei Jalil, was er gemeint habe, als er sagte, Noor sei ihrem Vetter Rahim versprochen worden. Jalil behauptete, das habe er nicht gesagt, die Dolmetscherin habe ihn falsch verstanden, und die anderen Männer stimmten ihm bei. Die Dolmetscherin wurde knallrot.
«Er hat es gesagt, das kann ich beschwören! Ich verstehe doch meine Muttersprache!»
Die Männer der mittleren Generation, die am besten Finnisch sprachen, regten sich über die Bemerkung auf und machten der Dolmetscherin auf Persisch Vorwürfe. Die Miene der jungen Frau wurde immer unglücklicher, sie schlenkerte mit den in Zierstiefeln steckenden Beinen wie ein kleines Mädchen.
«Was sagen die denn?», fragte Ruuskanen über den Lärm hinweg.
«Dass ich ihre Worte verfälsche und auf der Seite der Polizei stehe!», rief die Dolmetscherin empört aus.
«Wir wollen andere Dolmetsch», sagte Farid Ezfahani.
«Es bleibt bei dieser Dolmetscherin.» Ruuskanen musste sich ernsthaft Mühe geben, um nicht die Nerven zu verlieren. Puupponens Augen funkelten; mit seinem speziellen Sinn für Humor liebte er chaotische, außer Kontrolle geratende Situationen, solange niemandem körperliche Gefahr drohte. Es war ihm seit jeher schwergefallen, Autoritäten zu akzeptieren, und Ruuskanen war in seinen Augen wohl kein angenehmer Chef. Koivu dagegen sah besorgt aus, er begriff so gut wie ich, dass die Vernehmung gründlich schiefgelaufen war und die Ermittlungen keineswegs voranbrachte. Rahim Ezfahani, der wieder neben mir saß, zappelte unruhig. Er hatte rasch eine Zigarette geraucht, als wir seine Tante zum Krankenwagen brachten, und gierte nun offenbar nach der nächsten. Er hatte sich von Anfang an bemüht, so weit wie möglich von mir abzurücken, denn obwohl ich vom Alter her seine Mutter hätte sein können, war ich nun mal eine Frau und obendrein falsch gekleidet. Als meine Kinder noch klein waren und ich Schwierigkeiten hatte, den Kinderwagen in den Bus zu hieven, waren die hilfsbereitesten Männer diejenigen mit Migrationshintergrund gewesen, ganz besonders die Somalis. Anfangs hatte ich den freundlichen Helfern in die Augen gesehen und dankbar gelächelt, doch später hatte ich begriffen, dass ich damit gegen ihre Sitten verstieß. Das lag allerdings schon Jahre zurück, und zumindest ein Teil der Zugewanderten hatte sich daran gewöhnen müssen, dass finnische Frauen resolut und weltoffen waren. Zwar hatte ich mich in Afghanistan angepasst und ein Kopftuch getragen, aber ich ging davon aus, dass ich in Finnland jeden zum Dank anlächeln konnte, ohne zu befürchten, er würde das Lächeln falsch verstehen.
Ruuskanen wollte wissen, warum die Ezfahanis nicht die Polizei verständigt hatten, als Noor auch spät in der Nacht noch nicht nach Hause gekommen war. Noors Vater antwortete darauf nur, sie hätten die Polizei nicht belästigen wollen und gedacht, das Mädchen sei vielleicht einfach bei einer ihrer Freundinnen eingeschlafen. Dies sagte er auf Finnisch, wobei er ab und zu nach dem richtigen Wort suchte.
«War es früher schon vorgekommen, dass Noor nachts ausgeblieben ist?», fragte Koivu.
«Nein. Noor gutes Mädchen.»
«Hatte sie am Dienstag einen bestimmten Grund, nicht nach Hause zu kommen?»
«Nein! Alles wie immer. Kein Streit, nichts. Alles in Ordnung.»
«Haben Sie bei ihren Freundinnen angerufen, zum Beispiel bei Susanne Jansson, oder im Mädchenclub?»
«Wir haben die Nummer nicht.»
«Die hätte man bei der Auskunft
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