Sag mir, wo die Mädchen sind
versucht, ihn zu beschwichtigen, als wir auf dem Finanzamt waren. Er hat gesagt, das finnische System sei gut, es sorge für die Menschen und Rahim müsse den Finnen dankbar sein, weil sie alle Überlebenden der Familie aufgenommen haben. Rahim spricht oft von der Rückkehr in den Iran, aber er hat dort niemanden mehr. Alle anderen Angehörigen sind tot. Rahims Mutter hat das Flüchtlingslager nicht überlebt, seine Schwester ist bei der Geburt ihres Kindes gestorben, und ihr Mann wurde getötet. Die Familie hat schon vor Noors Tod viel Trauer getragen.»
«Hast du Noor gekannt?»
«Ich habe sie ein paarmal gesehen, aber nie mit ihr gesprochen. Es hieß, sie sei sehr klug, ihr Verstand sei wie ein funkelnder Edelstein, ihr Geist wie ein geschliffener Diamant.»
In dem Moment wurde die Tür aufgerissen, und noch bevor meine Augen irgendetwas registrierten, verriet mir meine Nase, dass es Ursula war, die hereinstürmte,
«Kallio, hallo! Wir haben den Durchbruch geschafft!» Ursula wirkte euphorisch, aber als sie die Dolmetscherin bemerkte, verstummte sie und verschwand in einer Kabine. Ich hörte, wie Knöpfe und ein Gürtel geöffnet wurden.
«Ich habe vorhin deinen Namen nicht mitbekommen», wandte ich mich wieder an die Dolmetscherin. «Wie heißt du?»
«Gullala. Das bedeutet Tulpe. Hast du noch Fragen … Maria? So heißt du doch, oder?»
«Ja. Wenn ich später noch Fragen habe, melde ich mich. Ich muss dich begleiten, sonst kommst du nicht raus.» Es wunderte mich, dass die Dolmetscherin überhaupt allein im Gebäude hatte bleiben können. Vielleicht war es den männlichen Kollegen zu peinlich gewesen, sie vor der Toilette abzufangen.
Ich brachte Gullala in die Eingangshalle, die jetzt, nach dem Ende der Bürozeit, menschenleer war. Dort musste ich ihr auch die Zwischentür aufschließen. Der Polizeibeamte Akkila saß dösend am Schalter, an dem die Anzeigen aufgenommen wurden. Er war bereits seit der Einweihung des neuen Gebäudes 1996 im Haus, und seine miserablen Umgangsformen waren allseits bekannt. In seinem Fall hatten die psychologischen Tests der Polizeischule vollkommen versagt. Es war mir ein Rätsel, wieso er ausgerechnet am Schalter eingesetzt wurde, wo er es mit verstörten Menschen zu tun hatte, die einen Raub oder gar eine Misshandlung anzeigen wollten.
Ich kehrte nach oben zurück, denn ich wollte hören, was Ursula mit dem Durchbruch gemeint hatte. Schließlich fand ich sie im Besprechungszimmer des Gewaltdezernats, das gleichzeitig als Ermittlungszentrale im Mordfall Noor diente. Ruuskanen war bei ihr, während von den anderen Kollegen keiner zu sehen war.
«Ich habe letzten Endes zwei weitere Nachbarn gefunden, die bestätigen, dass Rahim Ezfahani gelegentlich einen grauen Toyota Corolla fährt, Baujahr irgendwann Mitte der Neunziger», hörte ich Ursula berichten. «Dem Register nach besitzt er keinen finnischen Führerschein, aber manche glauben ja, der Lappen wäre nicht so wichtig.»
«Konnte dir jemand das Kennzeichen nennen?»
«Nicht genau. Einer erinnert sich, dass der erste Buchstabe ein C war, ein anderer meint, die Ziffern am Ende wären 235 , wie der Geburtstag seiner Tochter. Der Besitzer ist zwei Zeugen zufolge ‹einer von diesen Ibrahims›. Der Ausdruck stammt nicht von mir, sondern von den Zeugen, einem Finnen und einem Russen. Ich suche jetzt im KFZ -Register nach passenden Fahrzeugen.»
«Offenbar hast du herausgefunden, dass Noors älterer Vetter Gelegenheit hat, ein Auto zu benutzen. Ist das dein Durchbruch?», fragte ich Ursula.
«Reicht das etwa nicht? Hätte ich auch noch ganz allein den Mörder anschleifen sollen, während hier sechs Leute auf dem Arsch hocken und erfolglose Vernehmungen führen?»
«Ich habe mich nicht dazu geäußert, ob es reicht oder nicht. Selbstverständlich ist das eine wichtige Information, zumal Rahim tatsächlich einer der Hauptverdächtigen ist. Es wäre fantastisch, wenn das Auto gefunden und von den Technikern untersucht würde.»
«Wenn du dich nicht in Dinge einmischen würdest, die dich nichts angehen, wäre ich längst auf der Suche», zischte Ursula und verschwand.
Ruuskanen sah mich zufrieden an.
«Ihr beiden scheint euch wirklich zu mögen», lachte er.
«Ursula ist eine gute Polizistin.»
«Trotzdem würde ich sie nicht einsetzen, um muslimische Männer zu vernehmen. Zumindest müsste sie sich dafür etwas dezenter kleiden. Ich bin schon oft drauf und dran gewesen, sie auf ihre Kleidung anzusprechen. Sie gleicht
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