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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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erfahren können.»
    «Wir stören nicht fremde Menschen in der Nacht. Als Noor nicht bei Großvater, wir versuchen schlafen. Klappt nicht gut.»
    Die Ezfahanis aus der anderen Wohnung erzählten dasselbe: Sie waren nach Hause gegangen, und später war Hamid gekommen und hatte gefragt, ob Noor bei ihnen sei. Niemand hatte etwas von ihr gehört, und zu ihrem Handy hatten sie keine Verbindung bekommen. Die Teledaten von Noors Handy konnten aufschlussreich sein, sofern sie es am Dienstagabend benutzt hatte. Alle Angehörigen und auch Tuomas Soivio behaupteten, nach sechs Uhr keine Verbindung zu Noor mehr bekommen zu haben. Wo war das Mädchen abgeblieben?
    Da die Ezfahanis an ihrer Darstellung festhielten und wir bislang keine Beweise dafür hatten, dass einer der Angehörigen bei Noors Tod die Hand im Spiel gehabt hatte, mussten wir sie gehen lassen. Ruuskanen untersagte ihnen jedoch, das Land zu verlassen, und erhielt darauf von Großvater Ezfahani eine eisige Antwort:
    «Wir gehen nirgendwo hin, bevor Noor auf die richtige Art bestattet ist!»
    Anschließend versuchten wir, die Ergebnisse der Vernehmung zusammenzufassen, waren aber alle gleichermaßen frustriert. Nach Puupponens Ansicht hatten die Männer nervös gewirkt, was allerdings auch an der Situation liegen konnte. Kaum jemand blieb ruhig und gelassen, wenn ein naher Angehöriger ermordet worden war. Koivu sagte, er habe speziell Noors Mutter beobachtet. Sie habe während des gesamten Verhörs Mühe gehabt, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten.
    «Die Frau ist das schwache Glied in der Kette. Es würde sich lohnen, sie allein zu befragen», meinte Koivu. «Vielleicht könnten Maria und ich zu ihr in die Klinik gehen, wenn sie wieder bei Kräften ist.»
    «Man muss die Leute wirklich bewundern», stellte Timonen fest. «Das Zusammenspiel war perfekt, wie bei einer gut eingespielten Eishockeymannschaft.»
    «Eher wie in einer Fußballelf», korrigierte Puupponen. «Die vereinbarte Taktik wurde eingehalten. Nur der Frau ist ein Fehlpass unterlaufen.»
    «Maria, da du eine Frau bist …», begann Ruuskanen, doch Puupponen fiel ihm ins Wort: «Gut beobachtet, Herr Kommissar.»
    «Nun gib endlich Ruhe!», brüllte Ruuskanen wie ein Lehrer, der einen störenden Schüler zur Ordnung ruft. «Also Maria, als Frau und Mutter, für wie wahrscheinlich hältst du es, dass eine Mutter den Mörder ihrer Tochter deckt?»
    «Ich halte alles für möglich. Sogar, dass eine Mutter unter bestimmten Voraussetzungen ihre Tochter tötet. Ist alles schon vorgekommen. Und es kann ja auch sein, dass die Mutter die Wahrheit gar nicht weiß, sondern nur die Männer eingeweiht sind. Deren Darstellung ist zu geschlossen. Und warum sind sie nicht losgegangen, um Noor zu suchen? In der Familie gibt es sechs kräftige Männer, dazu den Großvater, der bei der Mutter hätte bleiben können, während die anderen sich auf die Suche machten. Ihr Verhalten kommt mir unlogisch vor, und ich glaube nicht, dass das allein durch den Kulturunterschied zu erklären ist.»
    Ich musste dringend zur Toilette und war erleichtert, als Ruuskanen die Sitzung beendete, weil er sich über die bisherigen Ergebnisse der technischen Ermittlungen informieren wollte. Die nächste Damentoilette am Gang hatte einen Vorraum mit Waschbecken und zwei Kabinen, von denen eine besetzt war. Ich ging in die andere und hörte nebenan ein merkwürdiges Fiepen, wie von einem kleinen Tier.
    Anders als die Türen reichte die Wand zwischen den Kabinen bis zum Fußboden, sodass ich die Füße der Frau nebenan nicht sehen konnte. Als ich fertig war und mir im Vorraum die Hände wusch, bückte ich mich. Die flachen schwarzen, mit Goldfransen verzierten Wildlederstiefel der Dolmetscherin hatten stundenlang vor meinen Augen gewippt; jetzt waren sie hier. Ich holte den Schminkbeutel aus der Handtasche und tuschte mir die Wimpern, die eigentlich genug Farbe hatten.
    Das Wimmern verstummte. Da niemand aus der Kabine kam, entschloss ich mich zu einem Täuschungsmanöver. Ich ging auf den Gang hinaus und kam nach einer Weile wieder zurück. Die Dolmetscherin, deren Namen ich vergessen hatte, wusch sich gerade die Augen. Ihr Gesicht war verweint und lief rot an, als sie mich erblickte.
    «Was ist los? Ist es wegen eben? Von unserer Seite aus ist alles in Ordnung. Bei so schnellem Dolmetschen kann einem schon mal ein Fehler unterlaufen. Es war ja auch ein ziemliches Durcheinander.»
    «Ich habe keinen Fehler gemacht! Die haben

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