Sag mir, wo die Mädchen sind
eher einer Klientin der früheren Sittenpolizei als einer Polizistin. Aber vermutlich würde sie mir mit ihren künstlichen Fingernägeln die Augen auskratzen, wenn ich auch nur ein Wort darüber verlieren würde.» Ruuskanen setzte sich auf die Tischkante. «Du warst vorhin plötzlich weg. Ich möchte, dass du das Wochenende über mit Koivu in Verbindung bleibst. Er klärt in der Klinik ab, wann Frau Ezfahani wieder vernehmungsfähig ist. Auch Liisa Rasilainen hat in Kuitinmäki Interessantes erfahren, und Puustjärvi müsste gleich von der Obduktion zurückkommen.»
«Die hat aber lange gedauert.»
«Er sagt, die Knochensäge sei kaputtgegangen. Es gibt nichts, was es nicht gibt! Ich schicke eine Pressemitteilung raus, sobald ich mit Puustjärvi gesprochen habe. Wenn eure Zelle nichts mehr zu tun hat, kannst du von mir aus ins Wochenende starten.»
In gewisser Weise fühlte ich mich erleichtert: Ich brauchte die Mordermittlungen nicht zu steuern, musste höchstens ab und zu das Ruder halten und zusehen, wenn andere sich um die Segel kümmerten. Ich versprach Ruuskanen, am Wochenende jederzeit telefonisch erreichbar zu sein, dann ging ich in unseren Einsatzraum zurück, wo Puupponen und Koivu noch an ihren Computern saßen.
«Ich habe eine E-Mail von der bosnischen Polizei bekommen», sagte Koivu.
«Wegen Sara Amir?»
«Ja. Letzte Woche wurde in Bihac ein 1995 geborenes Mädchen dieses Namens zur Schule angemeldet. Das Mädchen hatte keinen Pass und keine sonstigen Ausweise. Die Frau, die es angemeldet hat, behauptet, seine Tante zu sein. Das Mädchen stammt angeblich vom Land, und die Papiere sollen verbrannt sein, und zwar bei einem Brand, bei dem die Eltern des Mädchens ums Leben kamen. Für das Feuer gibt es keinerlei Beweise. Die Polizei wird morgen überprüfen, ob es sich bei dieser Sara Amir um das Mädchen handelt, das in Espoo vermisst wird.»
«Morgen? Warum nicht sofort? Es besteht immerhin das Risiko, dass sie erneut verschwindet, wenn es sich tatsächlich um unsere Sara handelt. Hast du ihre Eltern schon benachrichtigt?»
«Lieber keine falschen Hoffnungen wecken. Ich warte erst mal ab, was die bosnischen Kollegen herausfinden. Jetzt fahre ich nach Hause, aber ich lese meine Mails und informiere dich sofort, wenn es etwas Neues gibt. Egal, was. Sobald Frau Ezfahani bereit ist zu sprechen, machen wir uns auf den Weg in die Klinik.»
Koivu seufzte schwer, loggte sich aus dem E-Mail-Programm aus und fuhr den Computer herunter. Er nahm die Brille ab und rieb sich das Gesicht. Wann hatte sich eigentlich die tiefe Falte in seine Stirn eingegraben?
«Schöne Grüße an Anu und die Kinder. Ich gehe auch gleich zu den Meinen. Wir hören voneinander», sagte ich.
Puupponens Finger flogen über die Tasten, die rechte Hand fuhr immer wieder zur Maus. «Ich suche nach Kommentaren über die Auseinandersetzung zwischen Rahims Clique und den Finnen im vorigen Herbst. Vor allem interessiert mich, ob dabei dieselben Nicknamen auftauchen wie in den Äußerungen über Noors Ermordung. Auf diese Weise kann ich die Zuverlässigkeit der Internetgerüchte vielleicht besser einschätzen.»
«Gibt es irgendetwas Neues oder Interessantes?»
«Nichts Weltbewegendes. Die selbst ernannten Internetpolizisten halten nach wie vor die Familie für schuldig. Ich möchte wetten, dass hinter dem Nicknamen ‹Zu Noors Gedenken› entweder Tuomas Soivio selbst steckt oder ein guter Freund von ihm, denn der Schreiber weiß haargenau, wie Tuomas im Präsidium gelandet ist. Immerhin ist er schlau genug, die Namen der Vernehmungsbeamten nicht zu nennen. Na ja, ich gehe das alles noch mal durch. Was meinst du, würde es sich lohnen, im Internet einen Köder auszulegen, eine Fehlinformation?»
«Was könnte das sein?»
«Zum Beispiel, dass jemand gesehen hat, wie Noor in diesen grauen Corolla eingestiegen ist – ich habe schon von Ursulas Entdeckung gehört. Vielleicht würde das etwas bringen.»
«Nein, kein Wort über den Corolla, sonst finden wir ihn garantiert nicht. Ursula sucht gerade danach. Für fingierte Gerüchte braucht man außerdem die Erlaubnis des Ermittlungsleiters, nehme ich an. So ähnlich wie bei Scheinkäufen von Drogen. Willst du noch lange hier rumhängen?»
«So lange wie nötig. Ich hab’s nicht eilig, nach Hause zu kommen.»
Ich ging noch kurz in mein Dienstzimmer, holte die Familienfotos aus der Schublade und stellte sie auf den Schreibtisch, dann machte ich mich auf den Heimweg. An der
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