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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Waffe Gebrauch zu machen.
    «Ich will, dass er vor euch wiederholt, was er mir vorhin gestanden hat. Dass er Noor umgebracht hat, weil er nicht wollte, dass seine Zukünftige mit einem Ungläubigen Umgang hat. Aber du verdammtes Schwein hättest Noor nicht als Erster besessen. Ich hab sie nämlich schon im Dezember entjungfert. Das stinkt dir gewaltig, was?»
    Das Wort, das Rahim daraufhin ausstieß, klang eindeutig wie ein Fluch. Ich betrachtete die beiden jungen Männer, die alles daransetzten, sich aus Hass ihr Leben zu verderben. Auf der Welt gab es ganze Heerscharen frustierter, vom Hass verblendeter junger Männer, die sich zu den absurdesten Kriegszügen anstacheln ließen, wenn man ihnen nur Ehre, das ewige Leben oder schrankenlosen Sex versprach.
    «Sutinen, fordere Verstärkung an, um die Schaulustigen im Zaum zu halten. Tuomas, ich komme jetzt näher. Du kannst mir das Messer vor die Füße werfen. Du bist nicht dumm. Dir muss doch klar sein, dass ein Geständnis, das du mit Gewalt erpresst, vor Gericht wertlos ist. Es ist Sache der Polizei, Schuldige zu einem Geständnis zu bringen. Amateure sollten die Finger davon lassen.»
    Ich bemühte mich, ruhig zu sprechen, obwohl ich innerlich kochte. Dass jemand Selbstjustiz übte, hatte gerade noch gefehlt. Bisher waren die Medien einigermaßen sachlich geblieben, doch damit war es nun vermutlich aus. Man konnte sogar damit rechnen, dass dieser Zweikampf Massenschlägereien zwischen Finnen und Migranten nach sich ziehen würde.
    Schritt für Schritt ging ich auf Tuomas zu. Ich glaubte nicht, dass er das Zeug hatte, mit dem Messer auf eine Polizistin loszugehen; vermutlich betrachtete er eine Frau mittleren Alters gar nicht als physische Bedrohung, zumal ich einen Kopf kleiner war als er. Dagegen musste er Männer um die dreißig, wie Sutinen und Himanen, als Gefahr empfinden. Ich hoffte, dass meine Kollegen Gedanken lesen konnten und sich seitlich zum Baum schleichen würden, sobald Sutinen den Alarm durchgegeben hatte. Auf dem Pfad erschienen weitere Zivilisten. Sie hatten an der Haltestelle den Lärm gehört und wollten das lebensechte Drama miterleben, das sich spätabends in ihrem Wohngebiet abspielte.
    «Habt ihr Bullen keine Knarren?», rief ein etwa sechzigjähriger Mann, worauf einige der Gaffer in Gelächter ausbrachen.
    «Doch! Ebendeshalb bitte ich Sie zurückzutreten. Und zwar sofort!»
    «Haben hier die Weiber das Kommando?», redete der Mann weiter, doch ich drehte mich nicht noch einmal zu ihm um, denn hinter den Bäumen blinkte bereits das Blaulicht des Einsatzwagens; die Sirene war zum Glück nicht eingeschaltet. Die Streife, die zur Verstärkung eintraf, würde sich um die Neugierigen kümmern. Inzwischen war ich nur noch zehn Meter von Tuomas und Rahim entfernt. Tuomas weinte nicht mehr, Rahims Stirn und Nacken waren schweißnass. Er schien zu glauben, dass Tuomas tatsächlich fähig wäre, ihn umzubringen. Ich wusste nicht, ob er annahm, in diesem Fall mit der Märtyrerkrone ins Paradies seiner Religion einzuziehen, aber wenn ja, dann half ihm diese Hoffnung nicht gegen die Todesangst.
    Aus der Dunkelheit tauchte eine hochgewachsene Gestalt auf, der ein etwa dreißig Zentimeter kleinerer Kollege folgte. Ich kannte die beiden, erinnerte mich aber nicht an ihre Namen und konnte die Namensschilder auf die Entfernung nicht erkennen.
    «Geht nach Hause, Leute», sagte der Größere und begann die Zuschauer wegzuscheuchen wie eine Schar Hühner. «Hier gibt’s heute kein Volksfest.»
    «Dürfen wir nicht als Zeugen auftreten?», maulte der ältere Mann.
    «Lohnt sich nicht. Das Zeugengeld ist mickrig, und der Prozess wird nicht im Fernsehen übertragen», erwiderte der kleinere der Ankömmlinge, in dem ich nun Mikkola erkannte. Er fing an, das Gebiet rund um uns abzusperren, indem er ein blau-weißes Plastikband von Baum zu Baum zog. Tuomas Soivio sah aus, als würde ihm allmählich klar, dass er vom Jäger zum Hasen mutiert war, der bald ins Fangeisen gehen würde.
    Wie ich gehofft hatte, kamen auch Himanen und Sutinen langsam näher. Ich machte wieder zwei Schritte vorwärts. Nun konnte ich bereits die Augenfarbe der beiden jungen Männer unterscheiden, dunkelbraun bei Rahim, bei Tuomas blau wie das Kreuz auf der finnischen Flagge.
    «Was hat Rahim dir gestanden?»
    «Was ich am Telefon gesagt habe! Dass er Noor erdrosselt hat.»
    «Hast du das getan, Rahim?»
    Noors Vetter schwieg, was Tuomas dazu veranlasste, die Messerspitze an seinen Nacken

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