Sag mir, wo die Mädchen sind
hatte. Er war reich verziert, die grünbraunen Abbildungen zeigten einen Palast und ein Bauwerk, das große Ähnlichkeit mit europäischen Triumphbögen aufwies. Nachdem ich den Schein eine Weile betrachtet hatte, legte ich ihn in meine Schublade. Ich hatte ihn für den Fall aufbewahrt, dass ich eines Tages wieder nach Afghanistan reisen würde. Doch nun wusste ich nicht mehr, ob ich den Mut dazu aufbrächte.
Ich aß mit meiner Familie. Antti hatte Fischsuppe nach italienischer Art gekocht, dazu gab es Pistou und Focaccia. An einem normalen Freitag hätte ich dazu ein Glas Weißwein getrunken, aber die Nachricht von dem Bombenanschlag hatte mich nervös gemacht; ich hatte das Gefühl, einsatzbereit bleiben zu müssen. Iida fragte nach den Ermittlungen über Noors Ermordung, doch ich konnte ihr nur sagen, dass wir weiterhin daran arbeiteten.
Als gegen halb acht mein Handy klingelte, wusste ich sofort, dass der Anruf nichts Gutes verhieß. Auf dem Display flimmerte der Name Lauri Vala. Ich ärgerte mich. Vorläufig konnte ich das Handy noch nicht auf lautlos schalten, weil ich mit Anrufen meiner Kollegen rechnen musste.
«Warum gehst du nicht dran?», fragte Taneli, und Jahnukainen starrte missbilligend auf das lärmende Ding. Als Klingelton war der Song «Polizeischule» von Juice Leskinen installiert. Puupponen hatte ihn an einem feuchtfröhlichen Abend im Sommer auf mein Handy geladen.
«Weil ich nicht mag.» Endlich hörte das Geklimper auf, aber bald darauf wurde die Ankunft einer SMS gemeldet. Offenbar hatte Vala eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Jahnukainen strich mir um die Beine, ich holte die Spielzeugmaus unter dem Sofa hervor und spielte mit ihm. Auch Venjamin erhob sich von seinem Schlummerplatz im Kamin, der ausnahmsweise vor Sauberkeit glänzte, weil mein Vater ihn sowohl mit dem Staubsauger als auch mit einem Putzlappen bearbeitet hatte. Die beiden Katzen verloren bald das Interesse an der Maus und fingen an, miteinander zu balgen. Als sie merkten, dass wir sie beobachteten, gaben sie eine Weile Ruhe, setzten dann aber ihren spielerischen Kampf fort.
Wenig später klingelte mein Handy erneut. Ich verfluchte Valas Hartnäckigkeit, doch dann sah ich, dass er nicht der Anrufer war. Da mir die Nummer auf dem Display bekannt vorkam, meldete ich mich.
«Tuomas Soivio hier. Ich hab Rahim Ezfahani bei mir, er hat gerade gestanden, dass er Noor erwürgt hat. Kommt her und holt ihn, sonst mach ich ihn kalt.»
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12
W o bist du, Tuomas?»
«Im Wald, in Kuitinmäki. In der Nähe von Noors Haus.»
«Und Rahim ist auch dort?»
«Mit Handschellen am Baum festgemacht, er winselt. Hat wohl Angst vor meinem Messer. Ich könnte ihm den Schwanz abschneiden.»
«Sag mir den genauen Ort.»
«Weiß ich doch nicht! In dem kleinen Wäldchen hinter der Bushaltestelle westlich von Noors Haus.»
«Und du möchtest, dass die Polizei kommt?»
«Der Kerl hat zugegeben, dass er Noor ermordet hat. Bringt ihn in den Knast.»
«Okay, ich komme. Mach inzwischen nicht noch mehr Mist.»
Ich alarmierte die Kollegen und machte mich sofort auf den Weg. In den Navigator gab ich Noors Adresse ein; ich erinnerte mich ungefähr, welches Wäldchen Tuomas meinte. Die Streife der Schutzpolizei traf vor mir ein, und Himanen und Sutinen, die zufällig wieder Dienst taten, lotsten mich per Funk ans Ziel. Als ich dort ankam, sah ich, dass Rahims Arme um einen Baumstamm gefesselt waren. Tuomas hielt ihm ein Messer an den Hals, Himanen und Sutinen forderten ihn erfolglos auf zurückzutreten. Zu allem Überfluss erschienen bereits die ersten Schaulustigen auf dem Plan, denn der Baum stand am Rand eines Waldwegs, der bei Hundehaltern beliebt war. Wir waren nicht einmal hundert Meter von der Stelle entfernt, wo mir ein Mörder vor langer Zeit gedroht hatte, mich umzubringen, wenn ich ihm nicht zu Willen wäre. Ich bemühte mich, die Erinnerung zu verdrängen, denn jetzt ging es nur darum, Rahim und Tuomas heil aus dieser Situation herauszuholen. Beide waren völlig außer sich. Rahim murmelte persische Verwünschungen oder Flüche vor sich hin, Tuomas weinte und tobte.
«Noch einmal, Tuomas Soivio, lass das Messer fallen! Du hast jetzt schon einiges beisammen: Bedrohung, Freiheitsberaubung und illegaler Waffenbesitz. Pass auf, dass nicht auch noch Widerstand gegen die Staatsgewalt dazukommt», beschwor ihn Himanen. Beide Streifenbeamten waren bewaffnet, doch in dieser Situation war es zu riskant, von der
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