Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition)
Kaffee trinken.«
Erst als wir ins Freie traten, bemerkte ich, wie erdrückend die Hitze drinnen gewesen war. Louise ging ein paar Schritte vor mir her, erkennbar überrascht, festzustellen, dass es angefangen hatte zu schneien. Meine Augen tränten in der kalten Luft, und die Umgebung verschwamm vor meinem Blick. Ich folgte ihr bis zum Ende des Blocks und über eine schmale Seitenstraße. Ihre Absätze klickten auf dem Asphalt, und unser Atem wehte und wirbelte um uns herum wie frisch exorzierte Geister.
Louise führte mich zu einem kleinen Café, das zwischen einer leer stehenden und heruntergekommenen Ladenfront und einem genauso baufälligen Pfandhaus eingekeilt lag. Eine Theke mit Barhockern mit Blick auf einen Grill nahm die hintere Wand ein, und entlang des vorderen Fensters standen ein paar Tische aufgereiht. Es kam mir seltsam vor, dass an einem derart tristen Ort ein so großes Fenster sein sollte, das einen Ausblick auf ein weiteres, leer stehendes, verfallendes und mit Graffiti bedecktes Gebäude bot.
Als wir hineingingen, winkte uns ein rundlicher Mann in einer fleckigen Schürze mit seinem Pfannenwender zu und wandte sich dann wieder seinem Grill zu. Ein paar alte Männer kauerten auf Barhockern, doch die Tische waren alle frei. Louise suchte einen in der hinteren Ecke aus. Nachdem ich ihr aus dem Mantel geholfen und mich ihr gegenüber auf einen Stuhl gesetzt hatte, herrschte zwischen uns ein unbehagliches Schweigen.
Louise nahm ein Zigarettenetui und ein passendes Feuerzeug aus ihrer Tasche. Statt direkten Augenkontakt mit mir aufzunehmen, sah sie aus dem Fenster auf das Stadtviertel, das offenbar in den letzten Zügen lag.
»Trinken Sie Kaffee?«, fragte sie.
»Sicher.«
»Wie nehmen Sie ihn?«
»Schwarz.«
Sie öffnete das Etui und zog eine Zigarette heraus. Ihre Fingernägel waren manikürt und blutrot lackiert, was einen seltsamen Kontrast zu ihrem schwarzen Kleid bildete. »Freddy«, rief sie dem Mann am Grill zu, ihr Gesicht noch immer dem Fenster zugewandt, »zwei schwarze Kaffee, wenn du Zeit hast.«
»Kommen gleich, Lou«, rief er zurück.
Louise schob sich die Zigarette zwischen die Lippen, ließ das Etui zuschnappen und legte es zwischen uns auf den Tisch. Einige Sekunden vergingen, bevor sie ihre Zigarette anzündete, und als sie es tat, nahm sie einen langsamen Zug, hielt den Rauch einen Herzschlag lang in der Lunge und atmete dann allmählich aus. Als sie die Zigarette aus dem Mund nahm, bemerkte ich Lippenstiftspuren am Filter. Sie rauchte noch eine Weile schweigend weiter, mit einer Präzision und Flüssigkeit, die in ihrem Ablauf fast den Anschein des Religiösen hatte. Sie begann, sich zu entspannen, ihre Haltung wurde mit jedem weiteren Zug weicher. Ich war wie gebannt, bis Freddy zwei Becher dampfenden Kaffee auf den Tisch knallte. Als er sich entfernte, wandte sich Louise schließlich vom Fenster ab und zog ihren Becher zu sich heran. »Der Kaffee ist nicht schlecht, aber lassen Sie die Finger vom Essen.«
Hier im helleren Licht war zu erkennen, dass ihre Augen von Schlaflosigkeit und Stunden der Tränen gerötet waren. Diese Frau, die so viele Jahre mit meinem Onkel verbracht hatte, hatte eine angeborene Zähigkeit an sich, einen Schutzschild gegen das Leben, das sie vermutlich jeden Tag führte. Aber da war auch eine schüchterne Verletzlichkeit, die wahrscheinlich nur zu Zeiten wie diesen wahrnehmbar war, wenn Trauma und Müdigkeit zusammenkamen, um die Tiefe ihrer wahren Natur ans Tageslicht zu bringen.
»Es tut mir leid, dass ich Sie hier so ohne Vorwarnung überfalle«, sagte ich.
Sie nahm einen Schluck Kaffee und hinterließ einen weiteren Lippenstiftstreifen am Becherrand. »Eigentlich ist es schön, Sie endlich kennenzulernen. Nur schade, dass es unter diesen Umständen sein muss.«
Ich saß da und suchte nach Worten, während der aufsteigende Dampf von meinem Becher an meinem Kinn und meinen Wangen vorbeistrich. Gnädigerweise überdeckte das Aroma des Kaffees den ansonsten den Raum dominierenden Gestank nach Fett.
»Ich weiß, dass sie beide sehr lange zusammen waren«, brachte ich schließlich heraus. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, was Sie gerade durchmachen, aber ich möchte, dass Sie wissen, wie dankbar ich Ihnen bin, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.«
Der Anflug eines Lächelns flackerte über Louises Gesicht und verschwand so schnell wieder, dass ich es fast nicht bemerkt hätte.
»Ich dachte, wir sollten reden«, fügte ich
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