Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition)
einer kleinen, verglasten Kabine mit einem offenen Fensterchen auf der Vorderseite. Darin saß eine Frau auf einem Hocker und starrte wie in Trance auf die Kasse vor sich; sie sah erst auf, als ich einen halben Meter von ihr entfernt stand. Hinter ihrer Glaskabine waren eine Bar und ein Laufsteg zu sehen, auf dem sich eine gelangweilt aussehende, barbusige Frau in einem Stringtanga für eine Handvoll im Bühnenbereich verteilte Männer zur Musik in den Hüften wiegte. Dort war es genauso dunkel wie hier im Vorraum; abgesehen von der Hintergrundbeleuchtung der Bar spendeten kleine Kerzen in roten Gläsern auf den Tischen das einzige Licht.
Die Frau in der Glaskabine starrte mich einen Moment lang schweigend an und deutete dann mit dem Daumen auf ein kleines Schild neben sich, auf dem der Eintrittspreis stand. Sie sah zu alt für die Arbeit in einem Stripclub aus, besaß jedoch das verwitterte, erfahrene Aussehen von jemandem, der die Branche kennt, die Straßen und die Gestalten, die sie bevölkern, weil sie selbst dazugehört.
»Fünfzehn Mäuse«, sagte sie mit einer rauen Raucherstimme.
Obwohl ich ihr nie zuvor begegnet war, wusste ich irgendwie, wer sie war. »Ich bin auf der Suche nach Louise Sutherland.«
Sie seufzte und schüttelte den Kopf, dass ihre langen Onyx-Ohrringe schaukelten. »Sind Sie neu hier? Ich dachte, ich kenne alle Bullen, die hier momentan in der Truppe sind.«
»Ich bin kein Polizist.«
»Was wollen Sie?« Ihre Augen waren groß und braun mit dunklen Tränensäcken, und ihr Make-up war ein bisschen zu dick, konnte aber nicht verbergen, wie müde sie wirklich aussah. Irgendwann musste sie eine atemberaubend schöne Frau gewesen sein; trotz ihrer merklichen Erschöpfung waren noch immer Spuren dieser Schönheit zu erkennen.
Ich nahm den Hut ab und hielt ihn seitlich von mir weg. Regenwasser tropfte über meine Nasenwurzel. Ich wischte es ab. »Ich bin Andy DeMarco«, sagte ich zu ihr. »Pauls Neffe.«
Ihrem Gesicht war anzusehen, dass sie meinen Namen kannte. Sie fuhr sich verlegen mit den Fingern durchs kurze Haar, strich einige dicke Strähnen aus ihrer Stirn. Ich konnte fast hören, wie sich die Räder in ihrem Kopf drehten. »Ich … ich bin Louise.«
»Ich hatte gehofft, dass wir vielleicht reden könnten.«
Sie nickte abwesend, als würden sich ihre Gedanken überschlagen und ihr bereits vorauseilen. »Ja«, sagte sie schließlich. »Sicher … ja – natürlich.«
Sie ließ sich langsam von dem Hocker rutschen, mit mehr Anstrengung, als es sie hätte kosten sollen, und verließ die Kabine durch eine Hintertür. Ich sah zu, wie sie in die Bar hinüberging, sich über die Theke beugte und etwas zum Barkeeper sagte. Er nickte, gab einem anderen Angestellten ein Zeichen, und der Mann folgte Louise zurück in die Kabine und nahm ihren Platz auf dem Hocker ein. Er sah mich lange genug an, um mich wissen zu lassen, dass er mich gesehen und mein Bild im Gedächtnis abgespeichert hatte, schien ansonsten jedoch vollkommen desinteressiert an meiner Anwesenheit.
Louise griff unter die Theke, holte eine Unterarmtasche heraus, schlüpfte in einen langen, schwarzen Mantel und kam dann zu mir auf die offene Seite der Glasscheibe. Von der Frisur bis zur Garderobe wirkte Louise Sutherland wie eine Frau, die besser in die späten Vierziger- oder die frühen Fünfzigerjahre gepasst hätte. Sie trug ein einfaches, aber eng anliegendes schwarzes Kleid mit einem gewagten Schlitz, der knapp über ihren Knien endete, Nylonstrümpfe und Stilettopumps, die mir eher für eine Abendeinladung als für einen Tagesjob auf einem Hocker in einer Nacktbar geeignet schienen.
Ich vermutete, dass sie Mitte vierzig oder Anfang fünfzig war, doch ich war mir nicht sicher, in welches Ende des Spektrums ich sie einordnen sollte. Ihr Leben war nicht leicht gewesen, das war ihrem Gesicht anzusehen. Sie war beim besten Willen nicht übergewichtig, aber auch keinesfalls auffällig dünn; sie hatte eine vollbusige Sanduhrfigur, die so altmodisch wie der Rest ihrer Person wirkte. Sie umgab eine Aura unverhohlener Sexualität, eine unverkennbare Weiblichkeit, verbunden mit einem härteren Äußeren, deren sie sich überhaupt nicht bewusst zu sein schien. Oder vielleicht war ihr all das nur zu bewusst und Jahre der Übung ließen es nur so erscheinen. Als sie näher kam, umwehte sie der Geruch von Parfüm und Make-up wie eine schwere Wolke.
»Es gibt ein kleines Lokal gleich um die Ecke«, sagte sie. »Dort können wir
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