Saga von Dray Prescot 15 - Vallian-Zyklus 01 - Geheimnisvolles Scorpio
sehr erleichtert.
Denn vor der mit kostbaren Stoffen und Goldquasten verzierten Wand stand nicht das heidnische Silberidol eines Leems.
Ruhe überkam mich. Was immer der neue Chyyan-Glauben an Bösem bringen mochte, schlimmer als der Kult des Silber-Leems konnte er nicht sein.
Vor der rückwärtigen Nische erhob sich das kühne Bild eines Vogels mit mächtigen Flügeln, eine mannsgroße Darstellung, deren gefiederte Flügel zwanzig Fuß Spannweite hatten. Tiefschwarz war dieser Vogel, bis auf die scharlachroten Augen und die scharlachroten Klauen und den ebenso gefärbten Schnabel. Vier Flügel besitzt der Chyyan wie sein ferner Cousin, der Zhyan. Die vier Flügel waren bei dieser Statue im Verhältnis zum Körper etwas klein geraten, trotzdem wirkte das Ganze recht eindrucksvoll.
Sofort gingen mir Mutmaßungen durch den Kopf. Heimische Sattelvögel waren in Vallia und Loh unbekannt; sie gab es damals im wesentlichen nur in den feindlichen Gebieten von Turismond sowie in Havilfar und den benachbarten Inseln. Der mächtige Kontinent Havilfar, der südlich des Äquators lag, war die eigentliche Heimat der Zhyan und Chyyan. Ich runzelte die Stirn. Diese Sache erforderte weitere Informationen. Die mächtigste Nation von Havilfar war das Reich von Hamal, dessen wahnsinnige Herrscherin Thyllis geschworen hatte, das Vallianische Reich zu zerstören. War die Chyyan-Religion ein Element dieses abgefeimten Plans?
Weihrauchwolken stiegen auf. Der Gesang ging zu Ende. Die Menge lauschte den Worten des Priesters. So gut ich es vermochte, beobachtete ich die Gesichter der Anwesenden – einige nahmen die zornigen Worte begeistert auf, während andere doch kritischer reagierten. Zwei Fischer mit Dreizacken in den Händen schienen dem offenen Spott nahe zu sein. Ich merkte sie mir; sie standen dicht an der Tür.
Der Priester war aus Vallia gekommen, und zweifellos war Autonne sein Ziel. Ich versuchte mir eine Meinung über ihn zu bilden und fragte mich, aus welcher Stadt, welchem Land oder Kontinent er stammte. Ein massiger Mann mit den funkelnden Augen des Fanatikers – oder Geisteskranken. Er war zweifellos eine eindrucksvolle Erscheinung. Seine schwarze Robe war geschmückt mit Motiven in Goldstickerei, zumeist Chyyans, die ihren Opfern Unsägliches antaten.
Chyyans sind im allgemeinen nicht sattelzahm. Sie leben frei und streifen unbeschränkt durch die Weiten Havilfars, ein Schrecken für kleinere Tiere und den Menschen. Der weiße Zhyan ist für seine Unberechenbarkeit bekannt, obwohl er oft lieber eingesetzt wird als ein Fluttrell; trotzdem ist der Zhyan bei all seiner Kraft an Zügel und Trense und Fluggeschirr gewöhnt worden.
Ganz im Gegensatz zum Chyyan. Seinem schwarzen Gefieder fehlen die schimmernden Reflexe des Impiter der unwirtlichen Gebiete von Turismond. Der Chyyan ist ein Vogel, um den man einen großen Bogen machen sollte, wenn man auf einem Sattelvogel durch die Lüfte reitet oder einen kleinen Voller fliegt.
Dieser Priester also, der aus Hamal kommen mochte, um die Rache der Herrscherin Thyllis an Vallia zu unterstützen, erhob die Stimme und schalt die einfachen Fischersleute von Autonne, einer Stadt, für die ich verantwortlich bin.
»Es geht um die ferne Zukunft, wenn ihr tot seid, wenn ihr zu den Eisgletschern Sicces aufgestiegen seid! Nein, meine Kinder, im heiligen Namen des Großen Chyyan, dessen schwarze Brust jeden Pfeil auffängt, der euer Herz zu durchbohren versucht, sage ich euch, daß der Große Chyyan Hoffnung und Trost bringt, Entzücken und Freude, Wohlergehen und Reichtum für euch alle in diesem Leben. Wollt ihr vielleicht warten, bis ihr im Tode Freude findet! Hört auf meine Worte, denn es sind Worte von unserem Anführer, der von dem Großen Chyyan in göttlicher Allsicht erwählt worden ist, uns in die neue Dunkelheit der Schwarzen Federn zu führen, in der uns Licht über alle Maßen verheißen ist.«
Zwei der Dreizack-Männer begannen daraufhin laut zu lachen. Sie hatten für die metaphysischen Verheißungen offenbar nichts übrig. »Bei den Silberfischen der Leuchtenden Shalash, er will uns in die Dunkelheit dieses Federbalgs führen!« brüllte einer und klatschte sich vor Vergnügen mit gebräunter Hand auf den Oberschenkel. »Deine Worte sind Rätsel für einen Coy, Himet der Mak!«
»Psst!« und: »Ruhig, du frecher Onker!« tönte es den beiden Männern entgegen, die ich für Brüder hielt.
Der Priester, Himet der Mak geheißen, hob eine Hand. Ich sah, daß er unter
Weitere Kostenlose Bücher