Sagen aus Niederösterreich
allbekannten Stift Melk entfernt, erhebt sich an den Hängen des waldigen Hiesberges die stolze Schallaburg, deren wunderschöner Renaissance-Schloßhof noch heute viele Kunstbegeisterte anzieht. Vor vielen, vielen Jahren lebten auf der Burg zwei Brüder aus dem Geschlecht der Losensteiner, die einander feind waren wie Wasser dem Feuer. So groß wurde der gegenseitige Haß, daß sie schließlich nicht mehr unter einem Dache wohnen wollten. Daher erbaute sich der jüngere sein eigenes Schloß neben der alten Burg, in der sein älterer Bruder verblieb und deren Reste neben dem jüngeren Bau sich bis heute erhalten haben. Trotz der räumlichen Trennung kam aber der eingefleischte Haß nicht zur Ruhe. Wieder einmal gerieten die beiden Brüder in wütenden Streit, der damit endete, daß der ältere den jüngeren mit dem Schwert erschlug. Ein rotes Kreuz wurde unweit der Burg im Tal, dort, wo die Tat geschah, errichtet.
Der Mörder aber suchte vergebens den peinigenden Gewissensbissen zu entkommen und ein Vergessen seiner grausigen Tat in einem wilden Jagdleben zu finden. Tag und Nacht zog er ruhelos mit seinen sieben Hunden durch die Wälder und erlegte, was ihm vor das Rohr kam.
Einmal war er vergebens den ganzen Tag durch Felder und Wälder gestreift, kein Wild hatte sich gezeigt, keinen Schuß hatte er abgegeben. Schon näherte sich der Abend, als er an jener Stelle vorbeikam, wo das Kreuz für seinen toten Bruder stand. Wuterfüllt über die fruchtlose Mühe des Tages, zornig über dieses Wahrzeichen seiner alten Schuld, jagte er dem Gekreuzigten eine Kugel durch den Kopf, indem er zornig ausrief: »Und wenn ich den ganzen Tag gar nichts getroffen habe, du sollst meiner Kugel nicht entgehen!«
Da tönte ein gellender Schrei vom Kreuze her, der Kopf des Gekreuzigten wendete sich nach links – er ist auch heute noch nach links gerichtet –, und zugleich brach ein entsetzliches Gewitter mit einem so gewaltigen Sturm los, daß die stärksten Bäume geknickt und entwurzelt wurden.
Grauenerfüllt eilte der wagemutige Ritter seiner Burg zu. Dort erhielt er die Schreckensnachricht, daß seine Gemahlin soeben einem Kinde das Leben geschenkt habe, das einen Hundekopf trug. Wie von Sinnen stürmte der Ritter wieder aus der Burg, verlor sich in Sturm und Wetter in den Wäldern und wurde nicht mehr gesehen.
Die Mißgeburt aber wuchs heran und soll von hündischer Wildheit gewesen sein, so daß sie zeitlebens an einer silbernen Kette in einem Raume der Burg gefangengehalten werden mußte. Da man dieses Zwitterwesen von Hund und Mensch nicht im Freien zeigen wollte, soll man die drei benachbarten Burgen Schallaburg, Sichtenberg und Sooß durch unterirdische Gänge miteinander verbunden haben, damit der hundsköpfige Sohn des Schloßherrn unter der Erde von einem Schloß zum andern wandern könne. Die Sage weiß auch zu erzählen, daß dieses Fabelwesen im Alter von 32 Jahren starb.
Eine menschliche Büste, die einen Hundekopf trägt, wird noch heute in der Schallaburg gezeigt und soll mit dieser Sage in Beziehung stehen.
Der Ötscher
Wie ein König unter seinem niederen Gefolge hebt der Ötscher, alle Berge im Umkreis hoch überragend, sein stolzes Haupt kühn in die Lüfte empor und blickt weit nach Norden über Hügel und Felder bis zur Donau und darüber hinaus, nach Süden aber schaut er tief ins Gebirge hinein. Weil er unter den Bergen der Gegend einen so hohen Rang einnimmt, war er seit jeher Gegenstand scheuer Furcht und Verehrung im Volk, und ein Kranz von Sagen rankt sich um seine Gipfel und Hänge und berührt auch das umliegende Gebiet.
Der Ötscher wird in der Sage auch »Hetscherlberg« (Hetscher d. i. Hagebuten) genannt; man denkt sich seine Hänge dicht mit Dornengestrüpp bewachsen. Unzählige böse Geister wohnen auf dem Berg, denen es aber dort so schlecht ergeht, daß sie sich sogar nach der Hölle zurücksehnen. Zwischen dem eisigen Torstein und der Schauchenspitze hat der Teufel seinen Sitz, und wie er an heiteren Tagen die Schneewolken herumwirbelt, so gibt er zur Nachtzeit durch feurige Funken von seiner Anwesenheit Kunde. In der Walpurgisnacht und in den Raunächten wird der Ötscher zum Sammelplatz der Hexen, die dort ihren Hexensabbath feiern.
Auf dem Ötscher gibt es auch einen großen See, der aber unzugänglich ist. Dicke, sonderbar gestaltete Eismassen bedecken seine Oberfläche, dunkle Fische, die blind sind, schwimmen in dem Gewässer umher. Man glaubt, es seien die Seelen der auf ihre
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