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Sagen aus Niederösterreich

Sagen aus Niederösterreich

Titel: Sagen aus Niederösterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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Jahr am heutigen Tag, wenn draußen in der Ebene die Sommersonnenwende gefeiert wird, kommst du eine Stunde nach Sonnenaufgang hierher auf den Berg. Da wartest du, bis das Glöcklein in der Ferne, das du heute gehört hast, die Frommen zur Andacht ruft. Dann wird dieser Palast, den du hier siehst, vor deinen Augen wiedererstehen. Deine Aufgabe wird es nun sein, mutig das Schloß zu betreten und unerschrocken durch alle Gemächer bis zum letzten Raum vorzudringen. Dort werde ich dir in Gestalt irgendeines scheußlichen Tieres entgegen kommen. Der schreckliche Anblick darf dich aber nicht entmutigen. Du mußt auf mich zugehen, mich umarmen und auf die Stirn küssen. Wenn du standhaft bist und diese Tat drei Jahre hindurch am selben Tag und zur gleichen Stunde vollbringst, so ist mit dem dritten Kuß der Zauber, der mich gebannt hält, gelöst, und ich gehöre dir, samt dem Schloß und den Reichtümern, die darinnen verborgen sind. Willst du das schwierige Werk meiner Erlösung vollziehen, so versprich mir, alles genau auszuführen, was ich dir gesagt habe, und bekräftige dein Versprechen mit Handschlag!«
    Der junge Schäfer beteuerte nochmals, daß er fest entschlossen sei, die Jungfrau zu erlösen, gab das geforderte Versprechen und besiegelte es mit einem kräftigen Händedruck.
    »Ich danke dir, mein wackerer Helfer«, sprach die liebliche Maid, »und wenn dein Entschluß je wanken sollte, so denk an dieses Versprechen und bleibe standhaft! Heute übers Jahr sehen wir uns wieder.«
    Nach diesen Worten schritt sie in das Zauberschloß zurück, die strahlende Tür schloß sich hinter ihr, und mit donnerndem Krachen versank der herrliche Bau in den Felsen. An der Stelle des Schlosses lag der Felsvorsprung, und alles war wieder wie früher.
    Den Jüngling dünkte das wundersame Erlebnis wie ein seltsamer Traum, die Gestalt des lieblichen Mädchens wich ihm nicht aus dem Sinn, und als er zu Mittag seine Schafe den Hang hinuntertrieb, hing er in Gedanken noch immer dem feierlichen Versprechen nach, das er dem zauberhaften Mädchen gegeben hatte. Sooft er von nun an das kahle Felsengebiet betrat, ergriff ihn eine heilige Scheu, aber immer wieder zog es ihn an diesen geheimnisvollen Ort, wo sein Flötenspiel den Palast aus den Felsen gezaubert hatte.
    So verstrich ein Jahr. Am Tag der Sonnenwende zog der Schäfer lang vor Sonnenaufgang mit seiner Herde den Berg hinauf. Ein banges Gefühl vor dem unfaßbaren Ereignis, das ihm bevorstand, erfüllte sein Herz; immer näher rückte die Stunde, wo es eintreten sollte. Schon erhob sich die Sonne im Osten über den Bergen, schon erklang das Glöckchen des Klausners weit drinnen im Gebirg, und kaum war der letzte Glockenton verhallt, tauchte das Zauberschloß in den Felsen auf, das seine Aufgabe barg. Einen Augenblick nur bedachte er sich, dann schritt er mutig zum Eingang und wollte die Flügeltür öffnen. Doch diese sprang von selbst auf. Ohne den Herrlichkeiten, die den Palast erfüllten, nur einen Blick zu gönnen, eilte der Jüngling von Gemach zu Gemach; überall tat sich die Tür von selbst vor ihm auf. Endlich war er beim letzten Raum angelangt; aber hier blieb die Tür verschlossen. Eine kleine Weile stand er wartend da, dann drückte er entschlossen die Klinke nieder. Ein weiterer Saal lag vor seinen Blicken. Und ehe er noch recht erfassen konnte, wie es da drinnen aussah, fuhr plötzlich von einem samtbehangenen Lager eine ungeheure Schlange zischend gegen den erschrockenen Schäfer los. Schon wollte er sich schleunigst zur Flucht wenden, da erinnerte er sich der Worte des Mädchens und seines Versprechens, trat der Schlange beherzt entgegen und küßte sie auf den Kopf, indem er sie in seine Arme schloß. Zugleich aber verließen ihn die Sinne, und er sank mit einem Seufzer bewußtlos auf den prunkvollen Teppich des Gemaches.
    Als er wieder zu sich kam, lag er auf der kleinen Felsplatte, die seit jeher sein Aufenthalt gewesen, das zauberhafte Schloß aber war verschwunden. Doch die Gegend hatte sich auffallend verändert. Die wilden Felsen waren mit freundlichem Grün bewachsen, von den Graten und Zinnen schimmerte nicht mehr der ewige Schnee herab, und alle Schroffheit war gewichen. Da griff der Schäfer zu seiner Flöte und spielte in der Freude seines Herzens liebliche Weisen, die der Morgenwind säuselnd über die grünen Hänge trug. Und als er seine Flöte zur Seite legte, da war ihm, als hauchten ihm die Winde die liebliche Stimme des Mädchens zu, das ihm

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