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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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Mutter? Wie könnte ich es wagen wollen, in endlosem Kampfe mich mit dir zu messen? Ich fürchte nur, Jupiter möchte den Verein beider Völker nicht gestatten.
    Doch du bist ja seine Gemahlin, dir ziemt es, sein Herz durch Bitten geneigt zu machen. Was du zuwege bringst, ist mir recht.« »Laß das meine Sorge sein«, erwiderte Juno vergnügt; »vor allen Dingen muß der Bund geschlossen werden. Laß mich nur die Geschicke lenken, Geschehenem wird Jupiter seine Billigung nicht versagen.« Zustimmend und freundlich nickte Cythere, aber im Herzen spottete sie des Betrugs.
    Am nächsten Morgen veranstaltete die Königin eine große Jagd, ihren fremden Gästen zu Ehren.
    Auserlesene Jünglinge mit Schlingen, Netzen, breiten Jagdspießen, von Reitern und Spürhunden begleitet, verließen die Tore. Vor dem Palaste stand der Zelter der Königin, mit Gold geschmückt und mit Purpurdecken behangen, und kaute mutig an seinem beschäumten Gebiß; an der Pforte harrten die Pönerfürsten. Endlich trat Dido heraus, umdrängt von großem Jagdgefolge; sie trug ein buntgesticktes sidonisches Jägerkleid, darüber einen mit goldener Schnalle aufgeschürzten Purpurrock; ein goldenes Diadem umschlang ihre Stirne, und von der Schulter hing ihr der goldene Köcher. Vier Trojaner waren in ihrem Zuge, darunter auch der muntere Julus. Endlich schloß sich der schönste von allen, Äneas, mit seinen vertrautesten Helden ebenfalls der Begleitung an.
    Als die Gesellschaft das Gebirg erreicht hatte, zerstreute sie sich bald auf der unwegsamen Wildbahn; von den Felsenkuppen sah man bald Gemsen über die Hügel her stürzen; auf der andere Seite verließen Hirsche in stäubender Flucht ihre Berge, drängten sich in bange Haufen zusammen und durchrannten die offenen Felder. Mitten im Tale tummelte der Knabe Julus sein mutiges Pferd und flog damit bald an diesen, bald an jenen Jägern vorüber; das schüchterne Wild war ihm viel zu gering, immer hoffte er, es werde ein schäumender Eber angelaufen kommen oder ein Löwe mit gelber Mähne hinter dem Hügel hervorschreiten.
    Die Jäger waren so ganz in ihre Lust vertieft, daß sie nicht merkten, wie der Himmel sich zu verdunkeln begann, und das drohende Ungewitter, das sich in den Wolken zusammenzog, erst entdeckten, als der Wind durch die Bäume sauste und plötzlich Regen und Hagel herniederströmte. Tyrier und Trojaner suchten, zerstreut und verirrt, durch Felder und Wälder sich verschiedenen Schutz vor dem Unwetter. Während nun angeschwollene Waldströme von den Bergen stürzten und ein Zufluchtsort vom andern vereinzelt und abgeschnitten wurde, fanden sich durch Junos Veranstaltung die Königin Dido und der Trojanerheld Äneas zugleich in der nämlichen Grotte zusammen, um vor dem immer tobenderen Ungewitter Schutz zu finden.
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    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    Mit dem Aufruhre der Natur, beim Leuchten der Blitze und dem Krachen des Donners entfesselte sich auch die bisher zurückgehaltene Neigung der Königin; sie vergaß aller weiblichen Scheu und gestand dem Helden ihre glühende Liebe. Da schwanden dem betörten Äneas die göttlichen Verheißungen, er erwiderte ihre Zärtlichkeiten und versiegelte mit einem leichtsinnigen Schwur die Ausbrüche ihrer Leidenschaft.
    ÄNEAS VERLÄßT AUF JUPITERS BEFEHL KARTHAGO
    Das Ungewitter war vorüber, die Jagdgesellschaft hatte sich wieder zusammengefunden, und Äneas kehrte an Didos Seite nach der Stadt und in den Palast zurück. Ein Freudenfest folgte auf das andere, keiner Abfahrt ward gedacht, und der Winter kam heran.
    Jetzt machte sich Fama, die Göttin des Gerüchtes, auf und durchflog die Städte Libyens. Diese, ein Wesen von seltsam beweglicher Gestalt, ist die Tochter der Mutter Erde und die jüngste Schwester der Giganten.
    Sooft sie aus ihrer Verborgenheit hervorgeht, ist sie anfangs ganz klein und schüchtern, aber im Fortschreiten wächst sie an Kräften und Größe, erhebt sich bald in die Lüfte; und während ihre Füße über den Boden gleiten, verbirgt sich ihr Scheitel in den Wolken. Ihre Gestalt ist gräßlich, ihr Haupt ganz mit Flaumfedern bedeckt; soviel Federn, soviel funkelnde Augen darunter; soviel Zungen und Mäuler, die nie schweigen, soviel immer gespitzte Ohren. Nachts fliegt sie zwischen Erd und Himmel einher, rauscht durch die Schatten, und nie schließen sich ihre Augenlider zum Schlummer. Den Tag über aber lauscht sie hingekauert, bald am Giebel der Häuser, bald auf den Zinnen der Türme, und

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