Sahnehäubchen: Roman
Einschätzung?«
»Nö, hab ehrlich gesagt noch nichts von dem gesehen, was Sie so machen. Brauche ich aber auch nicht. Schon die ganze Atmosphäre hier ist doch etwas angestaubt. Ich meine – wer hängt sich denn heutzutage noch ernsthaft Poster von Leuchttürmen an die Wände? Das ist seit mindestens zehn Jahren out. Und cremefarbene Auslegeware in allen Räumen? Cool ist anders. Mit anderen Worten: Hier kann frischer Wind auf keinen Fall schaden.«
Kurz bin ich sprachlos, wie da dieser Studienabbrecher vor mir sitzt und allen Ernstes die Einrichtung unserer Agentur kritisiert, obwohl er sich hier gerade um ein Volontariat bewirbt. Aber ganz so leicht bin ich nicht aus dem Konzept zu bringen.
»Und den bringen Sie mit?«, frage ich nach.
»Wen?«
»Den frischen Wind.«
»Exakt.«
Gut, die Dreistigkeit, mit der Weidner hier aufschlägt, zeigt, dass er zumindest eine Eigenschaft hat, die im PR-Geschäft immens wichtig ist: ohne jedes schlechte Gewissen Dinge zu verkaufen, von denen man im Grunde genommen nicht die geringste Ahnung hat. Trotzdem bin ich einigermaßen fassungslos, wie jemand, der im Leben bisher gar nichts auf die Reihe bekommen hat, völlig bedenkenlos den Supermacker raushängen lässt. Gleichzeitig bin ich gegen meinen Willen amüsiert und spüre eine Form von Respekt in mir aufsteigen, was das Jüngelchen sich so wagt. Ob unsere Büroräume vielleicht tatsächlich ein kleines Facelifting vertragen könnten? Die Leuchtturmposter hingen schon in allen Räumen, als ich meinen ersten Arbeitstag hatte. Und der Teppich hat eindeutig bessere Zeiten gesehen …
Dann wische ich diese unrelevanten Fragen fort. Weidner will hier als Volontär und nicht als Einrichtungsgestalter anheuern, das geht ihn also gar nichts an! Ich beschließe, das Gespräch langsam zu einem Ende zu bringen.
»Nun, Herr Weidner, es ist interessant, Ihren Standpunkt zu kennen. Ich werde Ihre Unterlagen noch einmal eingehend prüfen. Wir haben allerdings eine Menge anderer Bewerbungen für dieses Volontariat.«
»Na gut.« Sein Lächeln strahlt weiterhin unumstößliche Selbstsicherheit aus. »Aber überlegen Sie nicht zu lange.«
Keine Sorge: Keine drei Sekunden werde ich darüber nachdenken!
Als Tom Weidner gegangen ist, gehe ich sofort zum Büro von Isa, unserer Teamassistentin, die in der Zwischenzeit eingetrudelt sein müsste. Als ich in ihr Zimmer komme, springt sie gleich auf und begrüßt mich fröhlich.
»Hallo Nina! Frohes neues Jahr – du bist hoffentlich auch gut reingekommen?« Gut sieht Isa aus, nach zwei Wochen auf den Kanaren ist sie braun gebrannt, und ihre kurzen blonden Haare sind noch heller als sonst.
»Ja, danke. Meine Feier war eher kurz und schmerzlos, und ich bin auch schon wieder fleißig bei der Arbeit.«
»Tja, einer muss ja hier die Fahne hochhalten. Was war denn das für ein Typ, der eben aus dem Konfi kam? Sah ganz niedlich aus. Ein neuer Kunde, den du betreust? Dann fängt das Jahr doch gut an.«
Ich schüttle den Kopf. »Nein, leider kein neuer Kunde. Ein Bewerber auf unsere Voli-Stelle. Aber viel zu alt und in keiner Weise für den Job geeignet. Du musst dir mal seinen Lebenslauf ansehen, der spricht Bände.« Ich drücke ihr die Mappe in die Hand. »Kannst du ihm bitte absagen?«
»Klar, mach ich. Aber warum hast du ihn überhaupt zum Gespräch eingeladen, wenn seine Bewerbung schon nichts taugt?« Sie zwinkert mir zu. »Hast das Foto wohl schnuckelig gefunden!« »Ich habe den gar nicht eingeladen«, erkläre ich. »Der ist irgendwie in Susannes Terminkalender geraten, aber sie verlängert ihren Urlaub jetzt noch mal um eine Woche und wollte ihn wohl auch nicht wirklich sehen.« Ich zucke mit den Achseln. »Wahrscheinlich hat sie irgendeinem Bekannten versprochen, sich den Vogel aus Gefälligkeit einmal anzuschauen.«
»Ja, wahrscheinlich. Wobei – so viel Menschenfreundlichkeit sieht ihr gar nicht ähnlich«, lästert Isa grinsend.
Ich werfe ihr einen tadelnden Blick zu, wir reden hier immerhin über unsere Chefin. »Vielleicht will sie sich im neuen Jahr irgendwie ändern.«
»Ja, wer weiß. Das berühmte Ich-will-fünf-Kilo-abnehmen- Gelübde zu Neujahr macht bei Susanne schließlich überhaupt keinen Sinn.« Wir müssen beide lachen, denn wenn in Deutschland die Size-zero-Bewegung unter erwachsenen Frauen eine Anhängerin hat, dann ist es mit Sicherheit Susanne. Quatsch, die ist wahrscheinlich Vorsitzende des Weltverbands, gemeinsam mit Posh Spice und Letizia von
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