Sahnehäubchen: Roman
sind als die Nächte, ist es kein Wunder, dass man deutlich bessere Laune hat als noch wenige Wochen zuvor. Da bin ich natürlich keine Ausnahme. Heute Morgen habe ich das erste Mal auf meinem Balkon gefrühstückt und dabei die ersten Sonnenstrahlen genossen. Herrlich!
So weit zu meinen meteorologischen Befindlichkeiten. Meine momentan ausgesprochen gute Laune hat aber noch einen anderen Grund: Ich sitze mal wieder im Freischwimmer. Und schon wieder steht ein Teller mit einem ganz ausgezeichneten Backhendl – oder vielmehr dem, was davon übrig geblieben ist – vor mir. Auch Tom sitzt mir schon wieder gegenüber. Das reinste Déjà-vu. Und doch ist es anders als vor ein paar Wochen. Es ist noch schöner. Alle Zweifel und Unsicherheiten sind heute wie weggeblasen. Tom betrachtet mich über den Rand seines Weinglases hinweg.
»Du siehst so nachdenklich aus. Alles in Ordnung?«
»O ja, in bester Ordnung. Wobei – gerade habe ich überlegt, ob du mich nur ausführst, um dir ein möglichst gutes Zwischenzeugnis zu erschleichen.« »Du meinst, ich mache meine Ausbilderin erst mit Backhendl und Limonenmayonnaise gefügig, und dann bringe ich sie dazu, mich für Deutschland sucht den Supervolontär zu nominieren?« Tom grinst – ich nicke.
»Ja, so ungefähr hatte ich das befürchtet.«
Er schüttelt heftig den Kopf. »Keine Sorge. Ich weiß, dass du nicht so billig zu haben bist. Das hat eine gründliche SWOT-Analyse meinerseits in Vorbereitung des heutigen Abends ergeben.«
Ich muss lachen. »Schau an, der Herr Volontär. Eine SWOT-Analyse? Ich bin beeindruckt, wie viel du schon von mir gelernt hast. Was hat sie denn ergeben, die Analyse?«
Tom grinst. »Eine Crème brûlée ist schon noch drin.«
»Dann ist ja gut. Aber mal im Ernst: Ich freue mich, dass du doch zurück in die Agentur gekommen bist. Es ist bestimmt die richtige Entscheidung.«
»Ja, ich glaube auch. Und ich bin froh, dass ich mich mit meinem Vater ausgesprochen habe. So von Mann zu Mann. Haben wir nicht schon mal darüber gesprochen, bevor ich angefangen habe? Es ist blöd genug, etwas nur aus Trotz zu machen. Aber etwas nur aus Trotz zu lassen ist auch nicht viel schlauer. Und diese Möbelhaustour mit Henning ist wirklich unglaublich. Du solltest diesen Huschka sehen, du würdest es nicht glauben.«
Ich lächle mein mildes Ausbilderinnenlächeln. »Doch, ich weiß genau, was du meinst. Aber da könnt ihr Jungs euch dann mal so richtig austoben, während ich mich um die hohe Literatur kümmere. Schade nur, dass einer der Erfolgsautoren aus dem Weidner-Verlag so eine schlimme Schreibblockade hat. Teil zwei seines Werks wäre bestimmt ein Knüller geworden.«
»Irgendetwas muss den Guten in letzter Zeit traumatisiert haben. Schade, dabei wirkte er immer so selbstbewusst.« Wir lachen beide.
»Ja, mein Vater war auch ganz bestürzt, als ihn die Nachricht aus Texas ereilte. Na, Künstler eben. Kennt man ja. Soll ich denn noch ein Dessert ordern? Vielleicht«, er sieht mich herausfordernd an, »ein kleines Sahnehäubchen?«
»Nicht frech werden, junger Mann!« Ich boxe ihm spielerisch gegen den Oberarm. »Glaub mir, davon habe ich erst einmal genug.«
»Und wie wäre es dann mit einer Crème brûlée?«
Ich bin versucht … aber nur einen Moment. Dann denke ich daran, dass ich heute sündteure Dessous aus dem neuen Wäscheladen in der Nachbarschaft trage und definitiv keine rostige Sicherheitsnadel darin steckt. Ich schüttle also den Kopf und winke dem Kellner zu.
»Bitte zahlen!«
Tom guckt erst erstaunt, aber dann sieht er mein Lächeln und begreift. Er beugt sich zu mir herüber und küsst mich zärtlich.
Crème brûlée ist zwar nicht schlecht. Aber heute gibt es zum Nachtisch etwas viel Besseres.
Mancher findet sein Herz nicht eher,
als bis er seinen Kopf verliert.
Friedrich Nietzsche, Philosoph
Dank an:
Timothy Sonderhüsken: Ja, langsam wird es langweilig mit all diesen Danksagungen. Aber du bist einfach ein verdammt guter Lektor, was will man da machen …
Die beiden Alexandras: Alex Heneka für die dramaturgische Beratung und Alex Fröhlich fürs Lesen und Händchenhalten. Der Name bürgt ganz offensichtlich für Qualität.
Bettina und Anja Keil: Unsere Agentinnen mit dem Überblick für jegliche Lebenssituation und alle Problemfälle.
Bernd für seine starken Nerven.
Und: der Minibar der Beautyvital Residenz Kühlungsborn für Trost und Zuspruch!
Über Anne Hertz
Anne Hertz ist das Pseudonym der Hamburger
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