Sahnehäubchen: Roman
Werkzeughersteller, vor drei Monaten Insolvenz anmelden musste, ist es in der Agentur sowieso ruhiger, als uns allen lieb ist. Andererseits: Solange Susanne noch Schnee und Schampus in Kitzbühel genießt, kann es um die Firma auch noch nicht allzu schlecht bestellt sein. Und ein paar entspannte Tage sind schließlich auch nicht zu verachten. Deshalb antworte ich Susanne lässig: »Keine Sorge, ich habe die Lage im Griff. Außerdem sind Isa und Frau Smit morgen auch wieder da. Bleib also ruhig noch ein bisschen in den Bergen. Habt wohl gerade tolles Wetter, was?« Vor meinem inneren Auge sehe ich Susanne in einem sündteuren Schnickschnack-Outfit auf dem Sonnenstuhl vor einer Skihütte liegen.
»Ja, das auch – aber viel toller ist, wem ich hier begegnet bin!« Sie legt eine kurze, bedeutungsvolle Pause ein. »Erzähle ich dir, wenn ich wieder da bin.«
»Sicher, mach das.« Ich bin von Natur aus kein besonders neugieriger Mensch. Und wenn es sich dann aller Wahrscheinlichkeit nach noch um Klatsch und Tratsch aus der Welt der Reichen und Schönen handelt, kommt mein Interesse völlig zum Erliegen. Für eine PR-Frau wie mich eigentlich fatal, aber immerhin lese ich pflichtschuldigst Gala, Bunte und Das goldene Blatt, um dieses Manko wieder auszubügeln. Mehr Einsatz kann man nicht verlangen, und deswegen frage ich Susanne erst gar nicht, welchem Promi sie in Kitzbühel über den Weg gelaufen ist. Sie vermisst diese Frage auch offensichtlich nicht im Geringsten.
»Dann sehen wir uns nächste Woche«, freut sie sich. »Und Nina, wenn du mal eine Stunde früher gehen willst – kein Problem. Also, mach’s gut!« Sie legt auf.
Eine Stunde? Während sie gerade ihren Urlaub um eine Woche verlängert hat? Typisch Susanne, denke ich grinsend. Einen Moment lang überlege ich, ob ich für heute einfach Schluss mache. Aber dem steht mein Pflichtbewusstsein im Weg, und da auch mein Kollege Henning erst nächste Woche wieder ins Büro kommt, muss ich einfach Präsenz zeigen. Also seufze ich, hole mir noch einen Kaffee, rufe Susannes Outlook-Kalender im Computer auf und fange an, ihre Termine der nächsten Tage in meinen eigenen Kalender zu verschieben. Nicht, dass sie etwas übersehen hat.
Tatsächlich hat sich Susanne für die Neujahrswoche nur Larifari-Krams eingetragen. Nur ein Termin überrascht mich, ein Bewerbungsgespräch mit einem hoffnungsvollen Volontärsanwärter. Normalerweise bekommt Susanne neue Volontäre und Praktikanten erst zu sehen, wenn sie ihr das erste Mal Kaffee bringen oder einen Kopierauftrag für sie erledigt haben. Obwohl unsere Agentur ziemlich klein ist und wir alle sehr eng zusammenarbeiten, ist Susanne in diesem Punkt ganz Hierarchin. Ob ich sie deswegen noch einmal anrufen sollte? Wer weiß, vielleicht handelt es sich bei dem Bewerber, der morgen früh um neun Uhr hier auftauchen wird, um ein leckeres Kerlchen, das sie sich persönlich anschauen wollte? Einen anderen Beweggrund dafür, dass sie sich selbst mit dem Fußvolk beschäftigen will, kann ich mir bei meiner Chefin nicht vorstellen. Andererseits: Da ich annehme, dass sie bei ihrem Skiurlaub ein aussichtsreicheres Objekt der Begierde aufgetan hat, wird sie das Bewerbungsgespräch mit einem Mann, der ein Volontariat machen will, vermutlich mit einem ordentlichen Schluck Veuve Cliquot aus ihrem Gedächtnis gestrichen haben – ich tippe, ihre tolle Neuigkeit bezieht sich auf irgendeinen Adeligen oder einen Industriellen, denn für solche Typen hegt meine Chefin zu meinem Entsetzen ein ziemlich großes Faible. Ich beschließe, Susanne nicht an den Termin zu erinnern und mir stattdessen die Unterlagen des Bewerbers auf den Schreibtisch zu holen. Schließlich bin ich sowieso diejenige, die normalerweise die Volontäre einstellt.
Die Bewerbungsmappe liegt ganz oben auf dem kleinen Stapel, der Susannes Schreibtisch ziert. Ich schnappe mir die Unterlagen und schlage sie auf. Tatsächlich, ganz apart, der Herr Weidner. Allerdings irritiert mich das Foto auch. Ich werfe einen Blick auf sein Geburtsdatum – und tatsächlich, er ist schon dreißig! Ein geradezu biblisches Alter für jemanden, der sich auf ein Volontariat bewirbt und somit erst in die Medienbranche einsteigen möchte. Was will Susanne denn von dem? Er hat nicht einmal ein »von« vor dem Nachnamen, und von einer Hamburger Bankiers- oder Großindustriellenfamilie namens Weidner habe ich auch noch nie etwas gehört. Auf dem Bild sieht er aus wie ein ganz normaler Zeitgenosse.
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