Sahnehäubchen: Roman
Na ja, eher wie ein großer blonder Junge, der leicht spitzbübisch in die Kamera lächelt und um den Hals eine Korallenkette oder so etwas in der Art trägt. Nicht gerade passend für ein Bewerbungsfoto.
Wieder in meinem Büro angekommen, lese ich mir Tom Weidners Lebenslauf gründlich durch. Auweia, der hat bisher noch nie etwas zu Ende gebracht: achtzehn Semester Architektur ohne Abschluss, dann noch sechs Semester neuere deutsche Literaturwissenschaft gepaart mit Romanistik, ebenfalls ohne Abschluss, schließlich eine abgebrochene Ausbildung zum Mediengestalter. Das Einzige, was man Weidner zugutehalten muss, ist die Ehrlichkeit, mit der er das in seinen Lebenslauf schreibt. Zumindest die drei Jahre Literaturwissenschaft hätte ich doch mit »freiberufliche Tätigkeit als Journalist« oder etwas in der Richtung getarnt. Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass wir jemandem wie ihm hier ein Volontariat anbieten. Dafür haben wir einfach zu viele Bewerbungen von vierundzwanzigjährigen Einser-Kandidaten, die schon drei einschlägige Praktika in großen PR-Agenturen absolviert haben und während ihres Studiums ein Jahr an einer renommierten Universität im Ausland waren. Tom Weidner sieht eher so aus, als hätte er seine Auslandsaufenthalte auf dem Surfbrett statt in Oxford verbracht.
Ich überlege kurz: Soll ich ihn anrufen und gleich absagen? Würde ihm und mir schließlich einige Zeit sparen. Andererseits – aus irgendeinem Grund muss Susanne ihn eingeladen haben. Also werde ich mir Tom Weidner morgen einmal anschauen.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, bin ich herrlich ausgeschlafen und fühle mich so gut, als hätte ich Susannes Urlaub hinter mir. Ich strecke mich genüsslich, werfe einen Blick auf den Wecker … und bekomme einen Riesenschreck: Es ist schon kurz nach acht. Mist! Warum hat der denn nicht geklingelt? Wie soll ich es jetzt noch rechtzeitig ins Büro schaffen?
Ich springe aus dem Bett und in meine schwarze Hose, die noch auf dem Stuhl neben meinem Kleiderschrank liegt. Ein schneller Blick in den Spiegel: Duschen wäre eigentlich dringend nötig, schaffe ich aber nicht mehr, eine Katzenwäsche muss reichen. Während ich mir mit der einen Hand die Zähne putze, wühle ich mit der anderen Hand in dem Haufen T-Shirts herum, die sich zwar frisch gewaschen, aber ungebügelt und zerknüllt in einem Korb im Flur befinden.
Ich bekomme mein lila Lieblingsshirt zu fassen, feuere die Zahnbürste ins Waschbecken und ziehe es über den Kopf. Zusammen mit meinem schwarzen Blazer müsste es wohl gehen. Aber was mache ich jetzt mit meinen Haaren? Offen lassen? Ohne sie vorher zu waschen, völlig ausgeschlossen, viel zu struppig. Pferdeschwanz? Dafür sind sie seit dem letzten Friseurbesuch, der mit etwas endete, was die Friseurin als »flotten Bob« bezeichnete, zu kurz. Was mache ich nur? Kopftuch?
Ich schaue auf das Display meines Badezimmerradios: schon 8:27 Uhr! In genau dreiunddreißig Minuten steht Tom Weidner in der Agentur auf der Matte und niemand wird auf ihn warten. Frau Smit ist zwar heute wieder an Bord, kann als Empfangsdame aber auch nichts anderes tun, als den Bewerber in Empfang zu nehmen … und es wäre mir schon sehr peinlich, wenn sie sagen müsste: »Also, ich weiß auch nicht, wo Frau Seefeld jetzt ist, sie kommt wohl heute etwas später.« Ich muss los, und zwar sofort! Dann also die Glitzerhaarspangen. Die nehme ich sonst nur zu Fasching oder wenn ich meinen Pony beim Abschminken zurückstecke, aber egal. Ich drehe die Seitenpartien in zwei Strähnen nach oben und stecke sie fest. Meine braunen Strubbel sind schon mal gebändigt. Im Spiegel guckt mich jetzt jemand an, der an ein dünnes, japanisches Schulmädchen im Hello-Kitty-Look erinnert. Ich muss grinsen. Groß bin ich ja wirklich nicht, aber mit meinen zweiunddreißig Jahren gehe ich wohl kaum noch als Girlie durch. Wenigstens sehe ich nicht ungepflegt aus. Vielleicht kann ich behaupten, es sei trendy? Noch schnell ein bisschen Puder auf die Nase, dann stürze ich aus dem Haus.
An der Bushaltestelle angekommen, fährt mir die Linie 5 direkt vor der Nase weg. Dabei hat der Fahrer mich garantiert noch rennen sehen, eine Unverschämtheit ist das! Der nächste Bus kommt in zehn Minuten. Na super, damit ist die letzte Chance dahin, es gerade noch pünktlich zu schaffen. Ich wühle in meiner Handtasche und suche mein Telefon, um Frau Smit nun doch Bescheid zu sagen. Sie soll einfach behaupten, ich habe noch einen wichtigen
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