Sahnehäubchen: Roman
Spanien!
Mehr Menschenfreundlichkeit könnte unserer Chefin dennoch nicht schaden, denn sie ist nicht gerade für ihr überweiches Herz bekannt. Wobei – vielleicht ist es auch genau andersherum? Womöglich macht Susanne alles richtig, und ich bin zu nett und gutmütig? Ich überlege kurz. Könnte was dran sein. Und darum beschließe ich, etwas Neues auszuprobieren.
»Gibst du mir die Bewerbungsmappe zurück, Isa? Ich schreibe die Absage selbst.«
2. Kapitel
J edes Jahr frage ich mich, warum ich mir diese Veranstaltung eigentlich antue. Schon mal nicht wegen der anderen netten Gäste, so viel steht fest – denn zu ihrem Neujahrsempfang laden meine Schwester und mein Schwager traditionell nur das Establishment ihres beschaulichen Hamburger Vororts ein. Die Ärzte- und Anwaltsquote beträgt ungefähr achtzig Prozent, alle anderen machen natürlich auch irgendetwas Wichtiges. Womit ich nun nichts Generelles gegen diese Berufsgruppen sagen möchte. Sollte mein Auto jemals versehentlich Bekanntschaft mit einem Brückenpfeiler machen, während ich unangeschnallt darin sitze, oder sollte ich mich unerwartet in einem fiesen Rechtsstreit wiederfinden, werde ich selbstredend für jeden verfügbaren Arzt und Anwalt dankbar sein.
Überhaupt: Neujahrsempfang! Muss man den ernsthaft veranstalten, wenn man Mitte dreißig ist? Das klingt doch eher nach etwas für die inhabergeführte Seniorenresidenz. Andererseits kann man sich natürlich schlecht an Silvester selbst bei seiner Schwester einladen und dann eine Woche später verkünden, dass man weder Zeit noch Lust hat, die Reise in die Vorstadt anzutreten.
Vielleicht bin ich auch einfach nur neidisch. Finjas Haus ist in Wirklichkeit eine Villa und bietet sich für Empfänge jeglicher Art unglaublich an. Auch die Häuser der Nachbarn links und rechts davon sind wahrlich keine Hütten, aber das traute Heim von Finja und Alexander ist ein echtes Anwesen: Komplett sanierter Jugendstil mit einem hübschen Fachwerkgiebel und einem Türmchen, schon der Vorgarten so groß, dass sich ein Landschaftsgärtner mühelos mehrere Tage damit beschäftigen könnte. Ach, streichen wir das »könnte«, denn Alexander wird als vielbeschäftigter Großverdiener mit Sicherheit nicht selbst den Rasen mähen. Der sieht sogar jetzt, im Winter, perfekt gepflegt aus, und die Fassade der Villa wirkt ebenfalls so, als habe man sie soeben für eine Fotostrecke in der Schöner wohnen herausgeputzt.
Innen geht es genauso weiter – statt eines Flurs gibt es hier eine großzügige Empfangshalle, und das Wohnzimmer ist ein riesiger Salon, in dessen Mitte Finjas Flügel bestens zur Geltung kommt. Wie immer wundere ich mich, wie meine nur drei Jahre ältere Schwester es schafft, mit absoluter Zielsicherheit so teuer aussehende und gleichzeitig antiseptisch wirkende Möbel zu finden. Finja und Alex mögen es unterkühlt. Die schräg vor dem Kamin stehenden Sofas sind selbstverständlich italienisches Design, kein Vergleich zu meiner gemütlichen Couch mit den gefühlten hundert bunten Kissen darauf, in die ich mich manchmal voller Wonne vergrabe. Und bei mir zu Hause wäre die Glastischlandschaft mit den verschiedenen Ebenen mit Sicherheit nicht so makellos sauber und mit erlesenen kleinen Kristallvasen dekoriert. Wenn ich es nicht besser wüsste, käme ich nie auf die Idee, dass hier auch drei Kinder zwischen zwei und zehn Jahren wohnen. Selbstgemalte Bilder? Fehlanzeige. Getöpferte Kerzenständer aus dem Kunstunterricht? Natürlich nicht. Aber die würden wohl auch nicht passen zu den zwei riesigen Edelstahl-Bodenvasen, die links und rechts vom Übergang zum gigantischen Wintergarten stehen. Platz ist hier kein Problem. Selbst die bestimmt siebzig Gäste des Empfangs müssen sich nicht drängeln. Das hat natürlich Vorteile: Ich kann meinen Teller mit Häppchen in der einen und das Glas Sekt in der anderen Hand ganz entspannt vor mir hertragen, ohne dass Kollisionsgefahr droht. Die freie Sicht hat allerdings auch Nachteile – meine Mutter entdeckt mich sofort und winkt mir zu, ich habe also keine Chance mehr, mich vor ihr zu verstecken.
»Hallo Nina, meine Liebe!«, begrüßt sich mich, als ich zu ihr in den Wintergarten komme und ihr ein Küsschen auf die Wange gebe. »Ich habe dich schon gesucht«, plappert sie sofort weiter, »man findet ja kaum ein bekanntes Gesicht hier. Jedes Jahr sage ich deiner Schwester wieder, sie soll nicht so viele Leute einladen. Aber auf mich hört sie natürlich nicht.
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