Saiäns-Fiktschen
Geschehen liefen, Strömungen, Wirbel, Linien, Kreise, unablässig im Wechsel von Formen und Farben sich ballend und auseinanderlaufend, und diese Sicht faszinierte ihn derart, daß er tatsächlich Pavlo vergaß.
Der indes grübelte immer noch. Wozu hatte er sein „Nein!“ gesagt? — Er vergegenwärtigte sich ein x-tes Mal die Worte des Professors vom Dienst, und da es die üblichen Worte waren, entsann er sich auch jedes ihrer Wörter, und eben die waren unangreifbar. So versuchte er die Schau zu erinnern, den Toul und den Seegrafen, den Intendanten und die Dame, das Volk und die Wächter, die Lilien und das Schwert und den Knüttel, doch er dachte all dies, anstatt es zu sehen, er dachte Namen und dachte Begriffe, und wenn er seine Lider schloß, sah er die Zwergin, ihr leeres Auge im glatten, entschwindenden Gesicht. — Er gab es auf: Erst einmal schlafen! Er fühlte sich unsagbar müde; er hoffte nicht einmal auf einen Traum.
Der Professor sah auch nahe der Kampfstatt das Volk sich verschnaufen: um die Weinfässer sich drängend, um Roste mit Würsten und Buden mit Broten, offenbar gibt es Speise und Trank unentgeltlich, und vielleicht ist für das Volk das Duell nur Beigabe zu sorgloser Sättigung. — Der Kegel aus Scharlach beherrscht die Szene; er steht genau über der Mitte des Kampffelds, wo das Duell, einmal in Unordnung geraten, nun auf seltsame Weise stockt: Der Seegraf hat sich, von den Wächtern genötigt, ein paar Schritte zurückgezogen; der Toul in der Grube schüttelt Faust und Knüttel und scheint dabei zum Volk zu reden, das sich vor Lachen schier ausschütten will; auch die Wächter lachen nun mit dem Volk, hüpfend an den Schäften der Hellebarden, und da stemmt sich der Toul wieder halb aus dem Erdloch und schreit etwas zur Tribüne hinüber, auf der daraufhin auch Bewegung zu schaun ist: vor dem Blau des Lilienhimmels eine langsam sich verdichtende Wolke aus Stahl. — Einer der Kontrolleure, ein Spezialist, versuchte die Lippenbewegung des immer maßloser sich gebärdenden Toul ins Akustische umzusetzen, doch da er nicht Frühfranzösisch verstand, entzifferte er nur sinnlose Phoneme.
Die Wolke schiebt sich nun auch vor das Meergrün, und bald ist nur mehr der Scharlach zu sehn.
Der Professor, der einen Tisch mit Vergrößerungsgläsern, die seit seinem Eintreten unbenutzt geblieben, keinen Augenblick außer acht gelassen, überlegte, ob er bitten dürfte, an diesem Tisch Platz nehmen zu dürfen, und er hatte auch schon die Begründung parat: das wissenschaftliche Interesse im Dienst und zum Wohle Uniterrs. Doch da er eben den Mund auftun wollte, begriff er an einer Bewegtheit der Kontrolleurschar, daß sie zu stören nun höchst untunlich wäre, und so beherrschte er sich und suchte das, was mittels der Linsen sich offenbarte, durch Anspannung des Blicks zu erzwingen, vermutlich ein Vorgang auf der Tribüne, wo nun der Scharlachkegel fehlte. Allein die Kontrolleure sahen nicht auf die Tribüne, sie sahen auf die Wächter am Rand der Grube, der sich ihrer drei aus dem Volke nahten: Ein Mann, zwei Weiber, Wein, Brezeln und Brüste, sie nötigen auch die Wächter zu trinken, und die sträuben sich nicht lange, vielleicht ein Verbrüdern, vielleicht ein Bestechen, vielleicht ein Anschlag auf den Vertreter des Königs. Der Toul redet fort, ein Wächter trinkt, ein zweiter mit ihm, ein dritter greift unter einen Weibsrock, Drängen gegen die Hellebarden; nun wird ein Faß herangekarrt, um das sich das Volk wie ein Lanzenblatt sammelt; Verdichtungen auch an den Flanken des Seegrafen; durch die Menge vom Innenrand schmale Rinnen, die sich wie dunkle Strahlen ausbreiten; tief im Hintergrund zeigen sich Feuer, die Wolke auf der Tribüne wird düster — es sind alles seltsame Zeichen, weitläufig wie die Vogelzugchiffren, die wieder im grauen Gewölb erscheinen, aber auch in Pavlos Traum.
Er hatte auf keinen Traum gehofft, ja insgeheim das Träumen gefürchtet; der Schlaf war rasch und ruhig gekommen, gleichmäßig sich niedersenkendes Dunkel, durch das dann langsam Schleier wehten, die im Maß eines Erblassens der Nacht sich verfinsterten, immer schwärzere Züge entstehender Botschaft, aus der sich plötzlich ein Rabe löste und auf den Träumenden niederstürzte, der aufschreien wollte und es nicht konnte, und Rabe um Rabe stürzte so nieder, und Pavlo schrie stumm, bis der Himmel leer war, und dann sah er, daß der Himmel sich höhlte, eine nach oben gestülpte Grube, in der sich, da sie
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