Saiäns-Fiktschen
der Professor gegangen, sie trat aus dem Überschwang seiner Beglückung, wehendes Schimmern von Meergrün und Scharlach, und ihr Atem klärte die stickige Luft. — Ich bin deine Dame! redete Jeanne Viole, ich bin die Dame deines Duells! Vertraue mir und deinem Mut! — Sie lächelte ihm zu; und unhörbar geblieben, entschwand sie über Pavlo hinweg ins Gemäuer.
Welch ein Tag! Pavlo, was er sonst nie getan, warf alle seine Barschaft zusammen, ging am hellichten Mittag in die Kantine und kaufte sich eine Flasche Wein, und es reichte sogar noch für eine zweite. Daß die Kommilitonen ihn mieden, störte ihn nicht; er hielt es für befangenes Staunen, er staunte ja selbst über all das Unbegreifliche, und es war ihm auch recht, daß er allein saß: Er trank und träumte seine Dame, er sah sie im Meergrün der schlanken Flasche, er sah sie im Scharlach der sinkenden Sonne, er sah sie im Umbrabraun des Abends, er sah sie als Glanz im grauen Gemäuer, und er sagte ihr all seine Argumente, die er morgen ins Feld führen wollte, und sie hörte ihm zu bis in den Schlaf.
Die Nacht verging traumlos.
Am nächsten Mittag dann also der WISDIS.
Pavlo trat strahlend in den Hörsaal, denselben Hörsaal mit denselben Hörern (selbstverständlich vermehrt um einige Gäste) wie am Vortag bei der historischen Schau; mit gleicher Spannung; in gleichem Schweigen.
Das Empfangsgerät war weggeräumt; auf dem Katheder stand der Professor; Pavlo nahm ihm zu Füßen Platz.
Er bitte, sagte der Professor, um Nachsicht, daß in Anbetracht der kurzen Vorbereitungszeit die Thesen noch nicht verteilt werden konnten; und: was für Thesen? dachte Pavlo, doch da gab der Professor schon den Konsensus bekannt, den er mit Pavlo betreffs des „Nein!“ erzielt hatte: daß es sich — selbstverständlich! — nicht auf die Wahrhaft Wahre Geschichte, sondern auf seine, des Professors, Schlußbemerkung von der überwältigenden Bedeutung der historischen Okulardemonstration als glänzendste Bestätigung der Wahrhaft Wahren Geschichte bezogen habe; und der Professor fragte Pavlo, ob er dieser Darstellung zustimmen könne, und Pavlo sagte sein drittes „Ja!“.
Er erhob sich, da er dies sagte, und setzte sich gleich darauf wieder nieder: Er hatte zwar ein gutes Dutzend Begründungen seines „Nein!“ vorrätig, doch er wollte sie nicht im vorschnellen Angriff verschleudern, sondern, im sichren Besitz verharrend, die schwächste Stelle seines Gegners ausspähen, den tödlichen Stoß dann dorthin zu führen: überlegen; lächelnd; geschmeidig; großmütig. Es war dies alles nicht so sehr eine bewußt gewählte Taktik kalkulierter Argumente als vielmehr eine Huldigung an seine Dame, Tagtraumfiguren seines Denkens, Eingebungen bei ihrem Erscheinen, Improvisationen über den Geist der Geschichte, und so war denn auch sein Sich-Erheben und -Setzen nur eine Gebärde hin zu Jeanne Viole: ein federndes Aufschnellen, ein strahlendes Sich-Zeigen, ein Präsentieren seines Daseins im Glanz begnadeter Kondition, und das Sich-Niederlassen ein lässiger Verzicht auf ein sofortiges Vernichten des Gegners; es gewährte, dieses Sich-Niederlassen, der Schau des Zweikampfs ein Weiterdauern.
So ließ sich denn Pavlo fast sittsam nieder, und er legte, wie es der Vorschrift entsprach, die Oberarme fest an die Rippen und die im Ellbogen rechtwinklig abgebogenen Unterarme entspannt, jedoch nicht lümmelhaft auf das Hörerpult mit dem Lesegerät und dem Zitatfindungscomputer, und er hob mit dem nach Vorschrift zum Professor erhobenen Blick auch alle seine Argumente zu einer letzten Musterung hoch: blitzend geschliffener Stahl des Geistes, gereckt ins Angesicht des Gegners, den niederzustrecken er noch verschmähte, da er ihm die Chance gab, seine Position zu begründen, wiewohl deren Unhaltbarkeit doch vor aller Augen lag. Wenn die Schau etwas demonstrieren konnte, dann den Widerspruch der Theorie der Wahrhaft Wahren Geschichte zu der Realität der Geschichte selbst —
und es sah auch durchaus so aus, als ob der Professor Mühe habe, seine Behauptung zu begründen. Hoch überm Rund der Hörer stehend, das in gierigem Schweigen sich spannte, räusperte er sich einige Male; schnaubte sich umständlich die Nase; setzte wieder zur Rede an: „Kameraden und Kameradinnen Studenten, ich habe —“; und räusperte sich wieder, und hob dabei zwischen Daumen und Zeigefinger eines jener Informationskärtchen hoch, mit denen man vom Katheder aus die Lesegeräte an den Pulten bedient,
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