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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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Begreifend, daß er zum Abgrund hin trieb, stand er auch schon in der klaren Einsicht der Verwerflichkeit seines Grübelns: Wenn der Oberste Kameradschaftsrat sogar diesen standhaften Wächtern einen historischen Einblick verwehrte, würde er seine Gründe haben, gute Gründe, triftige Gründe, dem Wohle ganz Uniterrs dienende Gründe; mußte man es da nicht doppelt und dreifach begrüßen, vor einem Schaden bewahrt zu werden, den man durch einen Einblick nähme, dessen Wirkung ein Unbefugter gar nicht beurteilen und abschätzen kann? Das gute Glück des Behütetseins, das den Professor nun wieder durchwärmte, was zählte dagegen das Irrlichtflackern flüchtiger Erkenntnislust? Der Professor begriff so tief wie noch nie, daß nicht das Jagen nach subjektiver, sondern das Sich-Einordnen in objektive Erkenntnis dem Wissenschaftler Uniterrs ziemte, daß also das Geschaute nicht in seiner Konkretheit, sondern nur als Lehrmeinung wichtig war, und die lag ja gesichert vor: der Sieg des Toul als Sieg des Volkes. — Dorthin war also der WISDIS zu führen, auf dieses Ziel waren die Thesen zu richten, die bis morgen mittag fertig sein mußten —;
    und da fiel dem Professor voll Schrecken ein, daß dieser Termin ja nicht seinen, sondern den Thesen Pavlos galt, von dessen Gedanken er bislang nichts kannte als jenes ungeheuerliche „Nein!“.
    Abermals verwirrte sich alles, und so dachte vor Pavlos Tür der Professor trotz seiner Erkenntnis an den WISDIS so ratlos, wie, eben aus dem Schlaf gefahren, hinter der Tür Pavlo an ihn dachte: beide ohne jede Ahnung, wie er, dieser WISDIS, ablaufen könnte, doch beide im unentrinnbaren Zwang, auf ihn, diesen WISDIS, zu bestehen, wiewohl beide noch nicht einmal wußten, um welches Thema er eigentlich ging.
    Doch als der Professor dann Pavlo erblickte, die Ratlosigkeit dieses offnen Gesichtes, wußte er jählings, was zu tun war; und in der Selbstsicherheit des Professors kam auch Pavlo endlich zu sich.
    Er habe, sagte der Professor fast noch in der Tür, dem Kameraden Studenten mitzuteilen, daß sein Antrag vom zuständigen Gremium genehmigt und dort Übereinstimmung erreicht worden sei, den WISDIS möglichst bald, gewissermaßen noch unter dem überwältigenden Eindruck der Okulardemonstration durchzuführen, was — und der Professor staunte nicht einmal über seine Gewandtheit, mit der er nun die Entscheidung fällte, die aus allen Schwierigkeiten half —, was allerdings, doch hier vollauf gerechtfertigt, außerordentliche Mittel verlange, nämlich das Abstehen von einem förmlichen Antrag samt allen Formalien von Begründung und Thesen, denn man werde den WISDIS schon morgen mittag durchführen, in frischem, ehrlichem Kräftemessen, auf das er, der Professor, sich jetzt schon freue, gebe es doch nichts Erquickenderes als das wahrhaft freie Entfalten wahrhaft wissenschaftlichen Meinungsstreits! Also wacker gestritten, ohne langes Gefackel von Thesen, Referat und Korreferat! Doch damit er, der Professor, ihm, dem Kameraden Studenten, auch mit gleichen Waffen begegnen könne, möge der ihm jetzt offenbaren, worauf sich sein „Nein!“ denn bezogen habe.
    Pavlo schwieg; und als der Professor, immer noch in der Türe stehend, die völlige Hilflosigkeit Pavlos erfaßte, fuhr er nach kürzester Pause fort: Er gehe wohl in der Annahme recht, daß Pavlo sich mit seinem „Nein!“ nicht auf die Wahrhaft Wahre Geschichte, sondern auf seine, des Professors, Bemerkung von der Bedeutung der Schau bezogen habe, nämlich daß — er interpretiere jetzt also den Kameraden Studenten — das Gesehene ob seiner Seltsamkeit wenig geeignet gewesen wäre, die Wahrhaft Wahre Geschichte in ihrem Wesen zu bestätigen, so daß jenes impulsive „Nein!“ sich nicht auf die Theorie als solche, sondern auf ein längst vergangnes Phänomen lediglich der Realität bezogen habe: Ob er den Kameraden Studenten so richtig verstehe?
    Pavlo, überwältigt dankbar, sein „Nein!“ an einem Platz zu finden, den er endlich für den rechten und richtigen ansah, sagte: „Ja!“, und der Professor ging, um sofort wieder zurückzukehren und noch einen Vorschlag zu unterbreiten: Da betreffs jenes „Nein!“ Übereinstimmung herrsche, scheine es wohl angebracht, wenn er gleich zur Eröffnung des WISDIS diesen Konsensus bekanntgebe; und Pavlo, damit jeglicher Vorbereitungssorge enthoben, sagte abermals sein „Ja!“.
    Das dritte Ja sagte er dann beim WISDIS, doch vorher erschien ihm noch einmal die Dame, gleich nachdem

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