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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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Prüfung darboten, und sie blieben mit dieser Unterordnung in der Ordnung der Wissenschaft, so wie etwa das Gift eines Impfstoffs in der Ordnung des Gesunden bleibt. Dieses „Nein!“ jedoch war eine Seuche, oder noch mehr: ein Konzentrat aller nur möglichen Viren, dem unvorstellbare Seuchen entbrechen mußten, und so ein Ausbruch von Unvorstellbarem geschah zuerst dem Professor selbst: Einen Augenblick lang, im Verebben des Dunkels, das ihn zu überfluten gedroht und nun in flatternden Bändern zurückschwang, glaubte er in den Drähten des Zeitzeigekastens Uniterrs Obersten Kameraden ganz in Blau auf einer Tribüne stehen und mit dem Finger auf ihn, den Professor, weisen und gleichzeitig einen schwarz-grünen Henker mit blankem Schwert heranwinken zu sehen; auf der Stirn der Tribüne stand leuchtend ein „Nein!“, und auch er, der Professor, schrie nun ein „Nein!“ und wußte nicht, ob er es wirklich geschrien und also dem OK-Rat ins Ohr geschrien.
    Der Schreck ob solcher Ungeheuerlichkeiten stieß (eben da, als der Führer der Kontrolleure den Befehl zum Räumen der Aula beschlossen und in Gedanken auch schon durchformuliert hatte) den Professor in solche Wachheit zurück, daß ihm die einzige Möglichkeit einfiel, jenes „Nein!“ zu paralysieren, nämlich mit dessen ureigenster Wirkkraft, und so rief er denn, aufs Katheder steigend, seinerseits mit schneidender Stimme: „Nein!“
    Aller Blicke auf ihm.
    „Ja?“ fragte Pavlo, der nicht recht wußte, was ihm eigentlich widerfahren war. — Der Professor vom Dienst nahm es schon als Ergebung, dabei war es erst die Verwirrung eines, der, im Begriff, sich selbst zu finden, gleichzeitig entdeckt, daß er sich verliert.
    Pavlo hatte nie sprechen wollen; sein „Nein!“ war wie aus dem Mund eines Fremden ganz träumerisch dem Spalt entschlüpft, der seit dem Erscheinen der anderen Zeit im Gefüge der Notwendigkeit klaffte, und es war zunächst nichts als jenes Andre, das ihn bis zum Verstörtsein betroffen und von dem er begehrte, daß es daure: Anders als Uniterr zu sein! Pavlo hatte dies sein „Nein!“ selbst als wie im Traum vernommen; es schien ihm unfaßbar, daß es jemand im Hörsaal, und unvorstellbar, daß
er
es gesprochen. Allein es war nun einmal da, und so fuhr es fort, auch den zu verändern, der es in Uniterrs Dasein gebracht: Dieses sein „Nein!“ als
sein
„Nein!“ begreifend und den Bezug zu fassen (und in ihm auch schon die Folgen zu ahnen) beginnend, den die Verneinung herstellen mußte: zum Wahrheitswert der Wahrhaft Wahren Geschichte, sah er — und dieweil er, und dies noch ganz traumhaft, sich erhob, als ob er den Sieger suche — groß den Toul aus der Grube sich heben, wie der die rasende Lust seines Trotzes allen Widersachern entgegenreckte. Und in der Sehnsucht, gleich ihm zu handeln, wie im Schauder, gleich ihm handeln zu können, hatte Pavlo mit traumsicherer Bewußtheit zum zweiten Mal sein „Nein!“ ausgesprochen, und er hatte dabei entsetzt begriffen,
daß
er gehandelt hatte wie jener, der nun im gleißenden Licht verblich, als ob er vor seinem Nachfahren weiche. Da nun, in den Blicken der Kommilitonen, die ihn — ein einziges Auge — anstarrten, hatte Pavlo den Abgrund gesehen, in den er, vom „Nein!“ des Professors gestoßen, als in sein Schicksal zu stürzen begann: ungläubig verwundert unvernichtet. So vom Traum ins Entsetzen geworfen und sein Entsetzen als Traum durchstürzend, hatte er schon beinahe außer Bewußtsein zu all den Nein ein Ja gesagt, als ob es der Halt wäre, ihn zu tragen; aber da fühlte er sich auch getragen und fühlte sich in den Blicken schweben, die nun auf ihn mit gleich roher Neugier wie auf das Fleisch der Vergangenheit starrten, daß es endlich in Kampf und Wunden aufbreche.
    Hier sei von uns eingefügt, was Pavlo nicht mehr sah (denn die Zeitfilmung selbst lief weiter, das Team im All hatte keine Weisung zum Abbruch erhalten) —: Daß auf den Empfangsgeräten im OK-Rat und im Kontrollraum die Wächter den Toul in die Grube stießen; wie zugleich die Menge aus vollem Hals lachte, und der violette Wanst seine Mütze hochwarf, und ein Eselshuf an die Tribünenwand schlug, und der Seegraf mit seinem Schwert durch die Luft hieb, und die Jeanne Viole einen Hauch ihrer Hand dem Kämpfer in der Grube zusandte. — Dieweil also dies geschah, und da der Professor, und schon triumphierend, und zur Größe eines historischen Siegers sich reckend, sein zweites „Nein!“ als „Nein zu dieser

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