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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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ein grünbraun schillerndes Siliziumplättchen. Er schob es in die Speisung der Lesemaschine, und den Druck auf den Einschalteknopf noch verzögernd, sagte er, so lässig redend, wie Pavlo in Gedanken zu reden gedachte, er habe hier die Einschätzung vorliegen, die der Oberste Kameradschaftsrat über die historische Okulardemonstration getroffen: Sie — und da lasen es alle im Hörsaal, und da las es auch Pavlo — sei als glänzendste Bestätigung Wahrhaft Wahrer Geschichtsbetrachtung von schier unermeßlicher Bedeutung: habe sie doch sinnenfällig, unwiderleglich und jedermann faßbar die vergangenen finsteren Zeiten, die in Uniterr endgültig überwunden, als wahrhaft finster und wahrhaft vergangen und somit endgültig überwunden gezeigt.
    Der Professor, nach einem Augenblick reinen Schweigens, darin Pavlos Waffen zu Staub zerfielen, sah im Gesicht des also Überwundenen ein fahles, noch nie so geschautes Grau den Glanz des Strahlens unaufhaltsam vernichten, und von einer Art Mitleid übermannt, nicht uneigennützig, aber auch Mitleid, ersparte er dem so vollständig Besiegten das Eingeständnis der Niederlage und sagte, nachdem das minutenlange, zum Orkan sich steigernde Trampeln und Klatschen abgeklungen und das Auditorium sich wieder gesetzt, er nehme diese einmütige Zustimmung
aller
hier Versammelten als Antrag und Auftrag, nunmehr den WISDIS durchzuführen, den Wissenschaftlichen Disput über diese unübertreffbar exakte tiefschürfende wegweisende und alle Beflissenen Wahrhaft Wahrer Geschichtsbetrachtung zu noch höherer Leistung beflügelnde Einschätzung, und er verlese nun die Thesen, die einer der beflissensten Kameraden Studenten (er nannte den Namen; erneuter Beifall) spontan für den WISDIS ausgearbeitet; und die Thesen erschienen auf den Leseschirmen; und der WISDIS wurde durchgeführt.
     
    Nach dem WISDIS, spät am Abend, ging, im Gedränge der Kommilitonen von einem Rund von Leere umgeben, Pavlo noch in die Kantine, Kredit für eine Flasche Wein zu erbitten; in der abweisenden Miene des Kameraden diensttuenden Ausschenkers las er die Verweigerung im voraus. Er entschloß sich dennoch, die Bitte zu wagen, er wollte noch einmal die Dame schauen, doch als, da er sich dem Tresen näherte, das Sich-Verengen des leeren Raumes ihm wie ein Schraubstock die Luft abpreßte, blieb er stehn, und nun wurde der Druck unerträglich, und als sich noch ein Murren erhob, entschloß sich Pavlo, nach Hause zu gehen; da sprach ihn ein guter Bekannter an. Es war einer der Filmoperateure; er fragte, ob er Pavlo, den historisch Gebildeten, einmal vertraulich sprechen könne, er habe ihn deswegen hier erwartet; und als er sah, wie Pavlo zögerte (der tat dies, um den guten Bekannten zu schonen), lud er (sein Team hatte eine Prämie bekommen) den Freund zu ein paar Flaschen Wein.
    In Pavlos Wohnzelle, vor der Reihe der Flaschen, fragte der Filmoperateur dann direkt heraus, ob Pavlo ihm erklären könne, was damals, 1409 zu Traulec, eigentlich geschehen sei: Er habe es zwar, gleich Pavlo, gesehen, er habe es auch im Film festgehalten, aber er verstehe es nicht.
    Er auch nicht, erwiderte Pavlo trinkend; und außerdem sei ja die Übertragung zum Auditorium verfrüht abgebrochen worden; ob die Filmleute Weiteres gesehen?
    Und nun, um strengste Verschwiegenheit bittend, erzählte der Bekannte mit gedämpfter Stimme, was die Studenten, und dann auch die Kontrolleure, nicht mehr hatten sehen dürfen: Wie, nachdem der Toul in die Grube zurückgezwungen und indes das Volk die mit Wein getränkten und von fleischlichen Reizen verwirrten Wächter wehrlos zu machen begonnen, der Seegraf mit dem Doppelhänder besessen auf seinen Sohn eingehauen hatte, der sich mit splitterndem Knüttel so lange geschützt, bis über die Köpfe der Wächter hinweg eine langleinige Schlinge geflogen und den Seegrafen wie einen Hasen gefangen, worauf das Volk ins Kampffeld gestürmt und den von Traulec in die Grube geschmissen, aus der heraus es den strampelnden Toul auf seine Nacken und Schultern gesetzt, um unter blauen Lilienbannern, die allüberall über dem Volk sich bauschten, an der Tribüne vorbeizuziehn.
    „Unterm Banner des Königs: das Volk, das gesiegt hat — verstehst du das?“ fragte der Filmoperateur, und Pavlo schüttelte den Kopf: er verstehe gar nichts; und er trank, und er fragte nach der Dame, doch der Filmoperateur zuckte die Schultern: Er habe sie nicht mehr gesehen, allerdings auch nicht auf sie geachtet, da habe es Andres zu

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