Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
Vom Netzwerk:
fand er unschwer Platz. Er bestellte den üblichen Tee, für den man keine Verzehrbons brauchte, bekam, als Stammgast, ein zusätzliches Stück Zucker, trank einen Schluck und ging zum Musikautomaten. Ein kubischer Kasten, betongrauer Anstrich, ein Münzschlitz, fünf beschriftete Tasten, also die: SCHWARZ DEIN HAAR. Janno tat die Münze leid, er wollte ja nicht Musik genießen, und daß man für Erkennen bezahlt, war er nicht gewohnt. Allein was half’s. — Er betätigte den Automaten; der Kellner nickte zufrieden; ein Gast sagte: „Gut!“ — Schwarz dein Haar deine Lippen so rot —: nichts; Janno hörte einen läppischen Text zu einer läppischen Melodie; kein Zeichen von Erinnerung, nur das, was Janno sowieso schon wußte, also keine Erinnerung war: Daß, als er auf die Mittelschule gekommen, er hier mit seinen Eltern gesessen, die bestätigte Aufnahme zu feiern, daß es Fleischspeise Kategorie III und hinterher die Schokoladenspeise gegeben, daß eine Flasche Weingetränk auf dem Tisch gestanden, der Musikautomat ununterbrochen in Gang gewesen und daß man dann leider allzurasch aufgebrochen; warum eigentlich? Ach ja, weil der Vater es so gewollt. — Sonst nichts? — Sonst nichts. — Janno trank aus, zahlte, ging in seine Wohnung zurück, studierte, wärmte seine Mittagskonserve (der letzte Verzehrbon würde für morgen gespart), wusch sich, überprüfte das Studierte, aß Abendbrot, und als es dunkel zu werden begann, machte er sich einen Plan für morgen.
    Also der Freitag — was würde geschehen? Höchstwahrscheinlich, nein, bestimmt würde man ihm irgendwelche Elektrokabel an Schläfen, Stirn und Hinterkopf leg-; nein, nein, anfangen, wo es anfängt! Systematisch bitte: Was genau würde geschehen?
    Er würde also das Universitätsgebäude betreten, beim Pförtner nach Nennung seines Namens und Überprüfung seiner Kennummer die Bestellungskarte ausgehändigt bekommen, ins zugewiesene Zimmer gehn oder fahren, und — aber halt, nicht so schnell, hier lag schon ein Problem: Wie sollte man sich während dieser Zeit geistig verhalten? Etwas denken oder nichts denken? Natürlich etwas denken; und was? Daß die Bewußtseinserhebung richtig ist, und daß man volles Vertrauen hat: eben das war’s! Mit diesem Gedanken würde er schon den Tag beginnen, er würde ihn denken, wenn er aus dem Bett sprang, und er würde ihn immer wieder denken, bis er vor dem Pförtner stand.
    Dann würde er also das Zimmer betreten, nach Aufruf natürlich, bescheiden grüßen, unter der Tür stehen bleiben (oder gab es da welche, die warteten? egal, dann würde er also unter den Wartenden sitzen, bis man ihn aufrufen würde), dann würde man ihn Platz nehmen heißen, ihm irgendwelche Elektrokontakte an Schläfen, Stirne und Hinterkopf legen, vielleicht auch Einstiche in die Hirnrinde machen, sicher ganz schmerzlos, wahrscheinlich gar nicht zu spüren, und er würde, was immer geschehe, denken, daß dies zu seinem Wohl geschehe, weil es zu Uniterrs Wohl geschehe, und daß er volles Vertrauen habe, und daß nur Uniterr solche Triumphe der Wissenschaft ermöglichen könne; und einmal da angelangt, bei Uniterrs Sendung, hätte er genügend Auswahl an Zitaten der Kameraden Klassiker, diese Erkenntnis zu vertiefen, historisch zu begründen, aktuell auszulegen und abzuwandeln, das mußte sich wirklich unschwer ergeben. — Und auf gar keinen Fall vergessen, etwas gegen Libroterr zu denken, etwa daß diese verrottete Gesellschaft ganz unfähig sei, solche wissenschaftlichen Großtaten zu vollbringen, da sie, mit ausgeklügelter technischer Perfektion, Vorgänge wie Bewußtseinserhebungen, die in Uniterr dem Volkswohl dienten, am laufenden Band zur Praktizierung von schamloser Unmenschlichkeit, etwa Herumschnüffeln in den Gedanken des Volkes, mißbrauche. — Oh, das war ein guter Gedanke, den durfte er keinesfalls vergessen! Noch einmal diese Formulierung, und noch einmal, und noch einmal; das saß fest! — Das genügte denn wohl. — Aber um der Materie willen auf gar keinen Fall denken, daß er richtig denke und daß er für die Prüfung denke; es mußte alles ganz zwanglos wirken; und es war ja auch wirklich kein Zwang dabei; er tat all dies völlig aus freiem Willen.
    Weiter: Wenn man ihn etwas fragte, würde er knapp und klar antworten, nicht unhöflich natürlich, nicht kurz angebunden, aber auch nicht weitschweifig überheblich oder beflissen all sein Wissen auskramend, das war sowieso nicht seine Art! Sollte ihn bei der

Weitere Kostenlose Bücher