Saigon - Berlin Thriller
Soldaten nicht mehr in den Einsatz zu kriegen. Ich musste es auch auf Anweisung von oben kiloweise ausgeben. Und im Einsatz machen sie dann so viel Mist, dass der Vietcong ein leichtes Spiel mit ihnen hat. Wer es überlebt, der braucht noch mehr Stoff, um nicht an seinen Verletzungen zu zerbrechen. Sieh dir doch diesen Haufen mal an. Bis zum Hauptmann alles dabei. Es ist zum Kotzen.« Mickys Kaumuskeln mahlten. Die Zähne knirschten. Mit den Fingern trommelte sie im Takt ihrer Gedanken auf die Sitzbank. Kletterte wieder auf einen Motor.
»Ich will eure Forderung überhört haben. Sonst erscheint die im Bordbuch. Also, helft ihr, das Kind zu legitimieren? Sonst gibt's für euch noch einen elenden Flug. Ohne Medikamente. Dope ist nicht. Aber ich kann euch eventuell mehr Morphium gegen eure Schmerzen geben.«
Dreißig Minuten später.
Mein Wurm hatte einen Namen, The-Maria, zwölf Taufpaten, Kleiner Drache und ich zwei Trauzeugen. Alles wurde im Bordbuch beglaubigt. Oliver und sein Copilot hatten es bestätigt und ich mit unterschrieben.
»Du bekommst noch eine beglaubigte Abschrift davon«, hatte Oliver hinzugefügt. Es klang wie eine Gratulation.
Der Wurm hatte endlich einen Namen. War vorläufig amerikanischer Staatsbürger und Kleiner Drache meine Frau. Hatte ich das so gewollt? Ich wusste es nicht. Mir war nur nach einer Bar mit vielen rauchenden, saufenden, lärmenden Menschen. Eine Hochzeit und Taufe zugleich hatte ich mir eigentlich anders, würdevoller, vorgestellt. Nicht in einem ständig im Unwetter durchsackenden Transportflugzeug der Air Force zwischen maschinellen und menschlichen Wracks durch die Bestechung einer Morphium verteilenden schwarzen Rotkreuzschwester legitimiert zu werden.
Ade Chau Doc. Die Hochzeit in den Reisfeldern hatte mir jemand vorenthalten. Es war mal wieder alles anders gekommen. Jemand, der für die Vorsehung meines Lebens, mein Karma zuständig war, mochte mich nicht. Das Elend um mich herum war unbeschreiblich. Und das sollte der Beginn meines neuen Lebens werden? Gerade mal vierundzwanzig Jahre alt. Erfolgreicher Jungjournalist durch fremde Hilfe. Eine kranke Frau, ein wimmerndes Kind. Und das alles zwischen einer menschlichen Fracht, die zwar aus der Gefahrenzone befördert wurde, aber ihre eigene Gefahr und ihren eigenen Wahnsinn mit sich trug. Das konnte nicht gut gehen.
Meine Ahnung wurde zur Gewissheit. Ich hatte einige Dokumente zu viel unterschrieben. Ich war ein Dummkopf. Ein menschlicher Versager, dem langsam alles über den Kopf wuchs.
NEUNTES KAPITEL
K ÖLN , 6. J ANUAR 1990
Ich war vor dem Feiertag in die Redaktion geflohen. Zu Hause fiel mir die Decke auf den Kopf. The-Maria hatte sich nicht gemeldet. Schikowski auch nicht. Es kümmerte sich überhaupt seit meiner Rückkehr niemand mehr um mich. Der neue Hausmeister stierte mich nur an. Die Kuchen backende Nachbarin war zu ihren Kindern verreist. Es nieselte und war kalt. Ein paar Kollegen von der Lokalredaktion hingen vor ihren Computern herum. Auch sie sprachen kaum. So, als sei ich nicht vorhanden. Lustlos räumte ich meinen Schreibtisch um. Die letzten Tage und Stunden spukten mir im Kopf herum. Ich sortierte Gedanken, Bilder, Informationen und versuchte, irgendwo eine Antwort auf alles zu finden.
Wer, zur Hölle, steckte hinter meinem erzwungenen Ausflug nach Ostberlin?
»Melde den Wagen als gestohlen«, hatte Schikowski gesagt. Drei Geschosshülsen und ein kleiner Familienschrein waren alles, was er in der Hand hatte.
Vielleicht hat er mehr im Wagen gefunden und sagt es dir nicht, spekulierte meine logische Gehirnhälfte.
Du erinnerst dich, dass Schikowski schon in Saigon von deinen Kollegen als Rauschgiftdealer abgestempelt wurde.
Ich nickte unmerklich. Der Regen ging in Nassschnee über.
»Ja, und?«, murmelte ich in mich hinein. »Heute ist er beim Geheimdienst. Bewiesen wurde nie etwas.«
Eben. Aber er hat einen Fehler gemacht, knurrte mein Gehirn. Ich bekam Kopfschmerzen vor lauter möglichen Konstellationen.
Welchen?
Du bist von der Polizei abgefangen worden, weil dein Leih-Mercedes als gestohlen gemeldet war. Damit hat er dich in die Hand bekommen. Und dann rät er dir, den gestohlenen Wagen nach der Durchsuchung bei der Verleihfirma als gestohlen zu melden? Das stinkt doch. Außer drei Geschosshülsen hat er doch nichts in der Hand. Wo ist der Mercedes überhaupt geblieben?
Das stimmte. Wo war der Wagen inzwischen? Der Verleiher hatte sich nicht gemeldet. Vielleicht rächte
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