Saigon - Berlin Thriller
Druck der nicht konventionsgerechten Foltermethoden dazu hinreißen lassen, einen Anheuerungsvertrag für die Stasi zu unterschreiben. Das hatte mir damals das Leben gerettet. Nun hatte sich mein Überlebensversuch zwanzig Jahre später in einen erneuten Überlebenskampf verwandelt. Ich, ein mehrfach ausgezeichneter Journalist, als Stasi-Spitzel? Wie sollte ich das wem erklären? Das war mein Todesurteil in der Branche.
Fragen über Fragen. Und keine Antwort. Was hatte dieser Ewald Steiger damit zu tun? Hatte er mich nach Ostberlin gelockt? The-Maria hatte bei ihm Unterschlupf gefunden.
Hatte sie etwas erzählt? Ich schüttelte unwillkürlich den Kopf. Sie wusste nicht genug von mir. Wer war es dann?
Minsky? Wo war er jetzt?
Schikowski? War er wirklich beim BND? Wie konnte ich das herausfinden? Wozu brauchte jemand in Europa überhaupt noch Opium? Das rauchte hier doch kein Mensch mehr. Kokain aus den Drogenkartellen Mittelamerikas war billiger zu beschaffen.
Je mehr ich nachdachte, umso mehr wurde mir klar, dass ich in einem Verwirrspiel steckte, das ich allein nicht lösen konnte. Also aß ich das Steak weiter und kämpfte mich durch die Getränke. Alle schmeckten irgendwie nach Würmern. Süßlich sauer. Nur der Biss fehlte ihnen.
»Hast du jetzt mal für mich ein Zimmer frei? Der Westen bekommt mir nicht.«
Eine Hand legte sich auf meine Schulter.
Nächster Morgen.
»Wie hast du mich gefunden?« Ich hatte Rührei mit viel Speck zubereitet.
»Du stehst im Telefonbuch. Den Rest haben deine nette Nachbarin, die mir deine Stammkneipe verraten hat, und der Taxifahrer erledigt. Mehr war nicht nötig.«
»Und was willst du hier? Du hast doch zu deinem Bruder rübergemacht, oder?«
Ewald Steiger nickte. Presste die Lippen zusammen. Zündete sich eine stinkende Papyrossi an. Atmete tief ein. Hustete und stieß den Rauch wieder aus.
»Ich hatte mir das auch einfacher vorgestellt. Mein Bruder ist seit drei Monaten tot. Herzinfarkt. Seine Wohnung war schon wieder vermietet. So irre ich seit einer Woche hier herum und wünsche mir fast, wieder in den Osten zurückkehren zu können.«
Ewald saß mir gegenüber. In einem Armeeunterhemd der DDR. Darüber die Hosenträger. Wie in seiner alten Küche in Ostberlin. Er hatte nur die Gegend gewechselt.
»Hier ist alles so verdammt teuer«, murmelte er. »Wie soll das jemals zusammenpassen? Ihr im Westen. Wir im Osten? Ihr schwelgt hier im Luxus. Und ich kriege an keiner Tankstelle Zweitaktgemisch für meinen Wartburg. Muss mir an der Moped-Zapfsäule mühsam Benzin zapfen. Das kann doch alles nur schiefgehen.«
Diese düsteren Betrachtungen eines alten Grenzers interessierten mich wenig, und ich schob ihm die Fotokopien über den Tisch. Er las. Und las noch einmal. Schob die Papiere von sich.
»Schöne Scheiße«, knurrte er. Erhob sich und räumte das Geschirr in die Spüle.
»Ich habe einen Geschirrspüler. Steck das ganze Zeug einfach da rein.«
Ewald schüttelte den Kopf. »Geschirrspüler. Wozu braucht ein einziger Mensch eine Spülmaschine? Für die paar Teller? Das kann nicht gut gehen zwischen West und Ost. Ich gehe mal duschen.«
Eine Woche später.
Ewalds Wartburg hatte ich bei einem befreundeten Autohändler zwischengeparkt und ihn neu eingekleidet. Wenn er jetzt noch ein freundlicheres Gesicht machen würde, konnte ihn kein Mensch mehr als Ossi erkennen. Auf die Schriftstücke hatte er nicht reagiert. Aber sie gärten in ihm. Mehrfach hatte er sie wiedergelesen und zurückgelegt. Seine Gesichtsmuskeln spielten. Er hatte Kaffee aufgebrüht und geraucht. Aber sagen wollte er nichts dazu. Er sprach überhaupt sehr wenig. Meine Fragen beantwortete er mit einem kurzen: »Das beantworte ich dir, wenn ich einiges geklärt habe. Vertrau mir einfach.«
So war ich meinen Geschäften nachgegangen. Ewald fuhr mich jeden Morgen in den Verlag und holte mich wieder ab. Er putzte die Wohnung, wusch das Geschirr von Hand. Bügelte und kochte. Wie bei einem alten Ehepaar. Sonst telefonierte er sehr viel und fuhr auch einige Kilometer mit meinem Auto. Ich stellte keine Fragen. Nur meine Spannung wuchs. Die Kopien lagen unberührt da, wo er sie zuletzt hingelegt hatte. Wie ein Mahnmahl. Mahnmahl für wen? Für mich oder ihn?
Der Unbekannte hatte sich nicht mehr gemeldet. Wo war The-Maria? Auch sie ließ nichts von sich hören. Trieb mich hier jemand in den Wahnsinn? Dieser ganze Ost-Ausflug durfte nicht umsonst gewesen sein. Als einzige Beute einen flüchtigen
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