Saigon - Berlin Thriller
beiläufig an meinen Fingern feststellen konnte, die die Stelle abtasteten.
Kleiner Drache sah es und trieb ihren Bruder zu einer noch halsbrecherischeren Fahrt an. Dem schien es Spaß zu machen, das alte Auto in seine Einzelteile zu zerlegen. Der rechte Kotflügel widerstand den Erschütterungen nicht mehr und flog davon.
Kleiner Drache streichelte meine Hand. »Wir besorgen uns ein neues Auto. Es stehen genug herum. Benzin haben wir jetzt reichlich.«
Ich nickte stumm und sah aus den verdreckten Fenstern. Es gab von allem genug. Zerstörte Fahrzeuge. Herumliegende Ausrüstungsgegenstände von Militärs. Selbst Gewehre lagen achtlos in den Gräben. Man musste sie nur aufheben und sich die passende Munition dazu suchen. Dann konnte jeder seinen Privatkrieg eröffnen. Aber niemand schien daran Interesse zu haben. So lagen sie im Schmutz und rosteten.
»Du sollst dich auf den Bauch legen«, übersetzte Kleiner Drache das Geschnarre ihrer Mutter. »Sie will sich deine Wunde ansehen.«
Ein alter Mann, den sie mir als ihren Vater vorgestellt hatte, stützte sich auf einen ähnlichen Stock wie den, den ich benutzte. Er saß im Eingang der Hütte und rauchte eine Opiumpfeife. Sagte nichts. Sah nur zu. Die Pfeife hing zwischen den wenigen Zähnen, die er noch hatte. Sie waren gelb und teilweise abgebrochen.
»Du sollst so liegen bleiben. Mutter bereitet einen Kräuteraufguss, damit die Entzündung zurückgeht«, übersetzte Kleiner Drache. »Dann bekommst du eine Binde, die zwei Tage darauf bleiben muss.«
Mir sollte es recht sein. Die Liege war zwar unbequem. Aber eine andere gab es in der Hütte nicht. Ich schlief ein. Das Gackern der Hühner war das letzte Geräusch, das ich bewusst wahrnahm
Ich schreckte hoch. Die Hühner waren immer noch da. Der alte Mann auch. Jemand fummelte mir zwischen den Beinen herum.
»Das geht nicht«, protestierte ich.
Kleiner Drache drückte meinen Kopf auf die Liege. »Das geht. Mutter macht das schon. Sie kennt sich damit aus.« Es war zum Wahnsinnigwerden. Die Weiber verbanden mich wie einen Säugling in Windeln. Zwischen den Beinen, über den Po, wickelten alles zweimal um den Bauch und steckten den Zipfel in die Binde. Wie sollte ich jetzt noch in eine Hose kommen? Ich sah, bestenfalls, untenherum wie ein Fakir aus.
»Das bleibt jetzt zwei Tage drauf. Kannst dir ja ruhig in die Hose machen«, kommentierte Kleiner Drache und lächelte noch nicht einmal.
Die Frauen meinten das ernst.
»Mutter hat dir eine Paste aus Kräutern gemacht. Das heilt. In einer Woche kannst du wieder Soldat spielen. Komm, ich muss mit dir reden.« Die Mutter band mir einen Sarong um die Hüften. Jetzt kam ich mir nicht mehr ganz so lächerlich vor und sah mich um.
Es war heiß und feucht. Der Wind säuselte unter dem Sarong. Diese Bekleidung wäre ohne Windeln gar nicht einmal so schlecht.
Die Hütte stand auf einem künstlichen, etwa dreißig mal dreißig Meter großen Hügel. Von hier führten vier Dämme zu vier Reisfeldern, die sich in verschiedenen Wachstumsstadien befanden. Der Platz war mit Schrottautos zugestellt, in denen die Hühner nisteten.
Kleiner Drache hob die Hand gegen das Licht. Deutete nach Westen. »Dort die Schatten, das sind die Hügel, von denen jedes Unheil ausgeht. Dort liegt Kambodscha. Zwei Kilometer, und du betrittst ein anderes Land. Dort haben sich die Vietcong Pfade gebaut, die ihr als Ho-Chi-Minh-Pfade bezeichnet. Aber bisher ist es euch noch nicht gelungen, sie zu zerstören. Das geht auch nicht. Aber ihr kapiert das einfach nicht.«
Sie vollführte eine umfassende Geste, der ich nur mühsam folgen konnte.
»Das waren alles mal Felder meiner Vorfahren. Und jetzt?« Sie riss ein paar Grashalme aus und setzte sich auf die Böschung. Sah der untergehenden Sonne nach.
»Jetzt was?«
»Die Felder gehören inzwischen denen, die Waffen haben. Sie kommen hierher. Überfallen uns. Rauben unsere Vorräte. Und wenn wir keine mehr haben, weil schon jemand vorher mit Waffen da war, dann nehmen sie die jungen Männer mit. Vergewaltigen Hühner und alte Frauen. Schweine zu halten lohnt sich schon nicht mehr. Sie sind selbst welche.«
Die Sonne ging in einem kitschigen Rosa unter. Die Hü gel jenseits der Grenze wurden als Scherenschnitte noch höher.
»Es gibt Regen«, erklärte Kleiner Drache die Wolkenformation, die sich über uns zusammenbraute. Für mich waren das normale Wolken an einem nicht ganz normalen Abendhimmel.
»Lass uns etwas essen gehen. Es gibt Huhn mit
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