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Saigon - Berlin Thriller

Titel: Saigon - Berlin Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hef Buthe
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und suchte mir eine kleine Mauer. »Verstehe ich das richtig? Deine Brüder sind beim Vietcong?«
    Kleiner Drache setzte sich zu mir. Ihr Bruder öffnete die Motorhaube und überprüfte etwas.
    »Was soll denn eine Familie mit vier Söhnen machen? Die Armee will uns nicht. Für die sind wir Aussätzige. Der Vietcong kommt über die kambodschanische Grenze. Ermordet jeden Mann. Vergewaltigt die Frauen und zerstört unsere Felder, wenn die wehrfähigen Männer nicht bei ihm mitmachen. Das war schon unter den Chinesen, den Japanern und den Franzosen so. Man hat uns nur ausgebeutet. Und keiner weiß mehr wozu und wofür. Wir, die Khmer, sind die Zigeuner dieses Landes. Uns gibt es nicht. Uns wird es nie geben.«
    Der Bruder rief etwas, das ich nicht verstand.
    »Was will er?«
    Kleiner Drache schüttelte ärgerlich den Kopf. »Manchmal ist er wirklich noch zu jung. Wir brauchen Benzin.«
    »Und wo bekommen wir das her?«, versuchte ich die Situation zu sondieren.
    Kleiner Drache lachte. »Wir suchen uns ein paar Armeejeeps vor einem Puff. Die haben immer Reservekanister. Das reicht für einen ganzen Monat. Bis die das merken, haben sie schon wieder eine Schlacht verloren.« Kleiner Drache lächelte verschmitzt. »Wir ersetzen die Kanister natürlich sofort ... mit Wasser.«
    Das war ein Krieg, den niemand gewinnen konnte, der nicht mit Leib und Seele in diesem Land lebte. Ich versuchte auf dem Rücksitz eine Position zu finden, die mein »weißer Arsch« möglichst schmerzfrei überstand.
    »Wohin fahren wir?«
    Kleiner Drache kroch zwischen den Sitzen hindurch und kuschelte sich an mich.
    »Sagte ich doch. Zu meiner Familie.«
    Ich gab es auf, weiterzufragen. Es kam, wie es kommen musste. Brian hatte gesagt, dass mein Karma schlecht sei. Sollte er recht behalten? Nun war ich auf dem Weg, eine Khmer-Vietcong-Familie kennenzulernen. Und die ganze internationale Meute von Journalisten versuchte einen vor das Mikrofon oder die Kamera zu bekommen. War mein Karma doch nicht so miserabel? Nur ...
    »Sag mal, hat dein vorheriger Freund in Zimmer 125 gelebt?«
    Kleiner Drache hob kurz den Kopf. Sah mich mit ihren braunen, großen Augen an. »Ist das wichtig?«
    »Ob das wichtig ist ...?« Ich verschluckte mich und hustete. Mein Vorgänger auf 125 war infolge einer oder mehrerer Handgranaten als menschliche Fetzen an den Wänden und der Decke des Zimmers gelandet. Und dieses kleine weibliche Wesen fragte, ob das wichtig sei.
    »Ja, das ist wichtig.«
    Kleiner Drache kuschelte sich weiter an mich, als bereite sie einen besonders schönen Abend im Bett vor.
    »Er war ein Scheißkerl.« Mehr sagte sie nicht.
 
    Ihr minderjähriger Bruder fuhr wie der Teufel. Der Wagen schlug bei jedem Loch bis auf meine Wunde durch.
    Mit der Leichtigkeit eines Taschendiebs hatte der Bruder von Kleiner Drache die geparkten Armeejeeps im Chinesenviertel Cholon ihrer Reservekanister beraubt und sie gegen identische Behältnisse aus seinem Kofferraum ausgetauscht. Alles hatte nur Sekunden gedauert. Außerhalb der Stadt verwendete er eine zusammengerollte Zeitung als Trichter, um den Simca aufzufüllen. Alles sah so leicht und tausendmal geübt aus. Kleiner Drache hatte Schmiere gestanden. Ich schwitzte und hatte dem Spiel nahezu teilnahmslos zugesehen und ein paar Fotos gemacht, die aber den wahren Sachverhalt so nicht dokumentieren würden. Ein junger Mann nahm ein paar Reservekanister von irgendwelchen Armeefahrzeugen. Das war alles. Nichts sagend. So nichts sagend wie die Landschaft, durch die wir fuhren.
    Dem Sonnenstand nach fuhren wir nach Südwesten. Wir verließen die Randbezirke von Saigon und folgten einer Straße, die mehr einem Feldweg glich. Ärmliche Hütten wechselten sich mit Reisfeldern ab. Einige Bauern hingen mehr hinter dem Wasserbüffel, als dass sie den Pflug führten. Ausnahmslos alte Männer. Zerstörte Fahrzeuge. Zerstörte Strommasten, von denen die Drähte wie die Beine einer erschlagenen Spinne herabhingen. Hütten, die immer primitiver wurden. Wo vor einer Stunde noch Lehmmauern das Fundament gebildet hatten, war jetzt nur noch Reisstroh das Baumaterial.
    »Wir nähern uns meiner Heimat«, kommentierte Kleiner Drache meine Blicke. »Es wird noch schlimmer. Dann weißt du, in welchem Luxus du lebst.«
    Luxus? Dieses alte Hotel? Das war schon nahezu unerträglich. Ich nickte nur. Verkniff mir jede Bemerkung. Es konnte eine Beleidigung sein. Ich konzentrierte mich auf meine Pobacke. Die Wunde blutete durch die Hose, wie ich

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