Saigon - Berlin Thriller
Reis. Dir zu Ehren. Und dann suchen wir uns ein Auto, in dem wir schlafen können.«
In mir jagte eine Frage die andere. Nur war es höflich, als Gast diese Fragen zu stellen? Vielleicht war es noch zu früh. Ich verkniff sie mir besser. Wichtiger war, wie ich die Nacht ohne nasse Windel überstehen würde.
Ein Pulk Pelikane landete im seichten Wasser der Reisfelder. Eine Rotte von Kampfhubschraubern knatterte Richtung Vietnam. Einer qualmte. Er würde seine Basis nicht mehr erreichen. Die Sonne verbarg diesen Tag hinter den Hügeln Kambodschas.
Wir setzten uns vor die Hütte auf einen halbierten Baumstamm, der als Bank diente. Der Vater setzte sich dazu und sprach mit Kleiner Drache. Dabei verzog er keine Falte im Gesicht. Im Licht der wenigen Kerzen, die leicht im Wind flackerten, sah er wie eine Mumie aus. Gerne hätte ich Kleiner Drache gefragt, wie alt er war. Ich ließ es. Die Mutter hantierte an einem freistehenden Lehmofen, der nach oben in einem Kamin aus alten Auspufftöpfen mündete. Hier wurde nichts weggeworfen. Die Autowracks dienten wohl auch als Ersatzteillager für gestohlene fahrbare Untersätze.
»Mein Vater sagt, dass du zur Familie gehören könntest«, übersetzte sie.
Bei dieser Formulierung wurde ich misstrauisch. »Wenn was?«
Kleiner Drache lächelte, aber nur ein wenig, und rang nach einer Formulierung.
»Na ja, Vater meint, dass der Büffel doch etwas sehr alt ist, um noch die Felder zu bewirtschaften. Essen kann man ihn auch nicht mehr.«
Die überlebenden Hühner waren in den Autowracks verschwunden. Eine seltsame Stille trat ein. Nur das Reisstroh im Ofen knisterte und beleuchtete die Mutter, die an mehreren Woks hantierte, wie in einem Puppentheater.
»Und was kostet so ein Vieh?«
Kleiner Drache fragte nach. »Um die hundertfünfzig Dollar. Zwei Jungtiere könnte er auf zweihundert herunterhandeln.«
»Und die klauen euch die Vietcong nicht?«
»Nein. Keine Büffel, kein Reis. Dann müssen sie auch hungern.«
Brian hatte mich gewarnt, dass ich noch viel Geld brauchen würde. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Aber ich hatte mir auf den zu erwartenden neuen Kreditbrief vom Hotel fünfhundert Dollar in kleinen Scheinen geliehen. Was sollte ich jetzt machen? Büffel kaufen? Ich war Gast und hatte nichts mitgebracht, außer einer blutenden Wunde und Hunger.
»Gib mir bitte meine Jacke.«
Das Essen war köstlich. Ich konnte mich nicht erinnern jemals Hühner gegessen zu haben, die mir im Mund zergangen waren. Mutter und Vater strahlten. Schnatterten um die Wette. Kleiner Drache lächelte nur. Streichelte meine Hand. Ich war dreihundert Dollar ärmer. Das musste mir ihre Gastfreundschaft wert sein.
Der kleine Bruder hatte ein neues, altes Auto aufgetrieben. Einen Peugeot 404. Der sah zwar besser als der Simca aus, dafür machte er mehr Krach. Der Auspuff fehlte.
»Wohin fahren sie?« Wir saßen auf der Bank und blinzelten in die Sonne. Geschlafen hatten wir auf der Pritsche eines zerschossenen Lieferwagens. Der Regen war in der Nacht über das Land hinweggefegt. Ich hatte die Ladetüren geschlossen und dem Trommeln der Regentropfen auf dem Dach zugehört. Es roch nach Hühnermist.
»Vater kauft die Büffel, und mein kleiner Bruder bringt Lebensmittel und einen Gast aus dem Ort mit. Der wird dich interessieren. Er spricht deine Sprache. Aber vorher will Mutter deinen Verband wechseln. Komm mit.«
Es war die gleiche Prozedur wie beim Windelwechseln. Die Mutter betastete die Wunde und nickte.
»Die Wunde heilt gut«, übersetzte Kleiner Drache. »Morgen kannst du wieder in deine Hose. Mutter hat sie gewaschen.«
Wann hatte sie das denn gemacht? Es war besser, nicht zu fragen. Land und Leute kamen mir langsam unheimlich vor. Sie waren überall und nirgendwo. Freundlich aber fordernd. Hatte man ihr Vertrauen gewonnen, was offensichtlich besser über Geld zu erreichen war, dann adoptierten sie einen. Ganz einfach und so nebenbei wurde man der Familie einverleibt. Wie das mit einer möglichen Trennung aussehen würde, darüber traute ich mir keine Gedanken zu machen. Das Zimmer 125 im Hotel schwebte vor mir. War das die Scheidung auf vietnamesisch?
Zwei Stunden lang hatte ich den Frauen zugesehen. Die Mutter trieb den alten Büffel durch ein noch nicht eingesätes Reisfeld. Mit einer Hand führte sie den Holzpflug. Mit der anderen hieb sie auf das Tier ein. So, als wolle sie ihm klarmachen: Du hast ausgedient. Gib dein Letztes. Sonst bist du endgültig wertlos und
Weitere Kostenlose Bücher