Saigon - Berlin Thriller
Andenken an eine längst vergangene Zukunft noch hatte.
Die anderen Wohnungstüren im Haus öffneten sich nicht. Nicht so wie in meinem Mietshaus in der Kölner Südstadt. Da war es ein Spießrutenlauf von einer Etage zur anderen. Jede und jeder würde etwas wissen, was hier passiert war. Auch wenn es nicht stimmte. »Ich habe gehört ... ich habe gesehen ... ich meine ... was meinen Sie? Nun sagen Sie schon endlich, sonst können wir der Polizei nicht ... keine Polizei. Damit will ich nichts zu tun haben.«
Hier tat sich nichts. Nicht einmal das Geräusch eines lebenden Menschen hinter den Türen. Totenstille. Selbst den kläffenden Köter auf der zweiten Etage schienen die Bewohner eingeschläfert zu haben, damit er ja die Schnauze hielt.
Der Schrein war schwer. Ich wuchtete ihn auf den Rücksitz.
»Sag mir jetzt nicht, dass du auch nichts mitbekommen hast«, knurrte ich Mollie an. Sie zuckte mit den Schultern.
»Muss ich? Ich kann nicht überall sein. Stimmt was mit Ewald nicht?«
Tief durchatmen war angesagt. »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn. Hier wusste niemand etwas. Ein Rheinländer wäre an seinen Informationen geplatzt. Die hier erstickten lieber daran.
»Wo ist Paule?«
Mollie grinste kurz. »Wo wohl? Auf dem Klo. Kotzen. Anders ist der nicht nüchtern zu bekommen. Habe ihm ordentlich Salz und Pfeffer in die Bulette getan. Das wirkt immer. Kannst ihn da aufsammeln und dann schnell weg mit euch. Ihr vermasselt mir das ganze Geschäft. Scheiß Vopos.«
Es war sinnlos zu fragen, was sie damit meinte. Was hatte der junge Grenzer gesagt? Hat wohl rübergemacht. Sonst hätten sie ihn ohnehin hoppgenommen.
Ewald hatte etwas verschwiegen. Und da schien der Schlüssel zu liegen. Nur war mir nicht klar, was der Schlüssel sein konnte und wo das dazu passende Schloss war. Mir war eigentlich überhaupt nichts klar. Am wenigsten, was ich hier machte. Meine Tochter war das Ziel gewesen. Nun schienen sich immer mehr Rätsel aufzutun, um The-Maria wiederzubekommen. Der oder die Unbekannten schraubten die Ansprüche an mich höher. Es wurde zu einem Irrgarten. Und die Erfinder von Irrgärten waren schlaue Menschen. Sie hatten sie sich ausgedacht. Der Besucher musste sich durch sie hindurchwinden und wurde nach einem genauen Plan der Erbauer in die Irre geführt. Die modernen Irrgärten waren aber kein Spaß mehr, an dessen glücklichen Enden ein Page mit einem Glas Champagner stand und der Fürst Beifall klatschte. Sich bei seinen Gästen für dieses kleine Amüsement noch höflich bedankte. Diese Zeiten waren lange vorbei. Hier wurde ein anderes Spiel getrieben.
Anstatt eines Glases Schaumwein schien hier die Enthauptung zu warten. Der Irrgarten wurde nicht mehr als Aufforderung gehandhabt, aus ihm herauszufinden. Genau das Gegenteil war der Fall.
So kompliziert dachte kein Deutscher. Und schon gar nicht ein Ostdeutscher. Das war asiatisches Denken. Doch die Vietnam-Mafia? Dann hatte ich ein dickes Problem.
Kamikaze kam mir in den Sinn, wie er mit dem Peugeot 404 über den Damm der Reisfelder getobt war. Erst dreizehn. Aber nicht zu bremsen. Das war jetzt ... ja, wie lange her?
»Ich will nur sterben«, maulte Paule. »Mollie will mich umbringen. Ja, sie ersäuft mich mit Schnaps. Sie ist 'ne Russin. Die bringen alle mit Schnaps um.« Es folgte ein debiles Lachen. Ich zog ihn von der Kloschüssel und seine Hosen hoch. Er stank nach Erbrochenem, Fusel und Tabak. »Du erinnerst dich noch, was wir heute vorhaben?«
Paule hing unter meinem Arm wie ein nasser Sack. Ich ließ ihn in den Schnee fallen. Das Gesicht voran. Rauchte ein Zigarillo und wartete. Aber er bewegte sich nicht mehr. Machte keinen Versuch, sich wieder aufzurichten. Ich drehte ihn auf den Rücken. Es war zu spät. Schnell untersuchte ich ihn. Das war kein natürlicher Tod eines Alkoholikers. Er hatte eine klaffende Wunde in der rechten Nierengegend. Ein Messerstich.
»Scheiße«, fluchte ich und durchsuchte seine Taschen. Zigaretten. Ein wenig Geld, ein schmutziges Taschentuch. Einen Schlüsselbund. Da waren mehr Schlüssel dran, als man für eine Kellerwohnung brauchte. Sollte ich ihn hier liegen lassen? Es war kein würdiger Tod. Auch nicht für einen verzweifelten Menschen. So ging das nicht.
Ich sagte Mollie Bescheid. Sie sollte sich um den Leichnam kümmern. Mir stand noch ein Ziel bevor, das ich jetzt ohne den ehemaligen Hausmeister angehen musste. Und das hieß Sans Soucis. Doch vorher war noch etwas zu
Weitere Kostenlose Bücher