Saigon - Berlin Thriller
Kotflügel. Ein Schrottplatz. Jupp sprach kurz mit einem Mann. Ich konnte ihn im Dunkel nicht erkennen. Der Tisch wurde ausgeladen. Jupp stieg wieder ein.
»Was jetzt?«
»Du wolltest doch wohin. Also fahren wir dahin.«
»Zum Sans Soucis?«
Jupp nickte. »Was sonst?«
»Woher weißt du vom Sans Soucis?«, fragte ich misstrauisch. Ich hatte nur mit Phong und Ewald darüber gesprochen. Nicht mit Jupp oder Olga.
Jupp knurrte. »Erstens hast du es mir gerade selbst gesagt ... entschuldige. Ein alter Verhörtrick. Und zweitens von der Linie 25. Der Fahrer ist mein Schwager.«
Ich hatte überhaupt keine Lust mehr, dieses Etablissement aufzusuchen. Ich wollte lieber mit The-Maria sprechen. Wenn sie denn ansprechbar war. Irgendwie fühlte ich mich elend schuldig an ihrer Situation. Ich hatte komplett versagt. Als Vater und Beschützer einer Familie.
»Was ist? Wir sind gleich da. Du hast die Schlüssel und ich die Uniform und eine Waffe. Gehen wir da mal rein. Würde mich schon interessieren, was daran so geheimnisvoll ist, dass dort nur Bonzen verkehren können.«
Wir hielten vor dem Eingang. Es brannte kein Licht. Es waren auch keine Spuren im Schnee zu sehen. Der Eingang war seit einigen Stunden nicht benutzt worden.
Jupp musste pinkeln. Hatte dieser Ehemann, Schichtführer eines Grenzübergangs, an dem nach Lust und Laune drangsaliert wurde, nichts anderes zu tun, als an seine Blase zu denken? Es standen genug Bäume und verschneite Hecken herum, an oder hinter die er pinkeln konnte.
Wer war mein Widersacher? Er schien mich zu kennen. Aber er zeigte sich nicht. Sein Spiel war trickreich und brutal. Ich versuchte mir alle in Erinnerung zurückzurufen, die ich aus der Zeit in Vietnam kannte. Wer von den Menschen aus jener Zeit hatte solche hochkriminellen Fähigkeiten gehabt? Ich war mir langsam sicher, dass ich in diesem Haus nichts mehr finden würde. Die Lösung konnte mir nur The-Maria bieten.
Wenn sie ihn überhaupt kannte. Die Person, ob männlich oder weiblich, spielte mit mir und der Situation der sich auflösenden DDR. Ein Schachspieler. Er hatte seine Dame geopfert, meine Tochter, mit der er mich erpresst hatte hierherzukommen. Sie mir zurückgegeben. Damit war sie aus dem Spiel. Aber er hatte sicher noch andere Figuren auf dem Brett und musste sich in einer komfortablen Stellung fühlen. Kleiner Drache? Was war sie dann? Der König, den es auf jeden Fall auf dem Brett zu schützen galt. Welche Figur würde als nächste gezogen? War das Spiel des Gegners auf Angriff oder Verteidigung gerichtet?
Den Schneemengen nach war Weiß am Zug. Und das war garantiert nicht ich.
»Du atmest schwer. Stimmt was nicht?« Jupp überprüfte seine Makarow. Lud sie durch.
»Doch. Alles okay«, log ich.
»Dann lass uns endlich reingehen. Ich will wissen, was sich da drin versteckt. Es muss etwas sein, in das wir Fußvolk nie hineindurften. Komm endlich.« Jupp stieg aus und entleerte seine Blase auf dem Weg. Wie ein Hund, der sein Revier markiert.
Das Autotelefon meldete sich. Die verzerrte Stimme klang heute freundlicher. Der Verzerrer hatte sich geändert.
»Du hast deine Tochter wieder. Ich hoffe, sie hat keinen Schaden genommen.«
»Was willst du? Gegen wen hast du sie ausgetauscht?«, fauchte ich ins Mikrofon.
»Mach langsam. Du bekommst auch Kleiner Drache unversehrt zurück. Du musst nur noch einmal tun, was ich dir sage.«
»Wer bist du? Verdammt noch mal. Und wenn ich es nicht tue und nur noch dir nachstelle?«
Es war eine müde Drohung. Genauso klang das Lachen des Unbekannten.
»Du überschätzt dich und unterschätzt andere. Vor allem diesen Jupp, der gerade auf den Gehweg pinkelt. Ich gebe dir einen guten Rat: Hol deine Tochter. Bei deinem Kumpel Ewald bist du sicherer. Und verbarrikadiere dich mit ihr in der Wohnung. Gehe nicht mehr in die Kneipe.«
»Warum sollte ich mich da sicher fühlen? Ich fahre mit The-Maria heute Nacht in den Westen zurück. Und du kannst mich mal.«
Auch das Atmen des Anrufers wurde verzerrt. Es klang wie das Rasseln eines Schlossgeistes mit seinen Ketten.
»Ewald hat für mich gearbeitet, und ... um mich zu finden, musst du wirklich in den Westen kommen. Ich bin nicht in der DDR. Nur meine Augen und Ohren. Also geht schon in das Haus. Aber achte auf deinen Begleiter. Er ist garantiert nicht dein Freund. Morgen um zwölf Uhr melde ich mich mit den Anweisungen für deinen letzten Auftrag. Dann kannst du deine vernachlässigte Familie wieder komplett mitnehmen.«
Die
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