Saigon - Berlin Thriller
würde. Atmete durch. Der war wenigstens beruhigt. Gute Storys machten ihn schnell gewogen. »Brauchst du noch Geld?«, hatte er gefragt. Wie es mir ging, hatte ihn nicht interessiert. Dabei ging es mir beschissen. Gerne hätte ich mal mit jemand darüber gesprochen. Aber mit wem?
»Ik werd nich mehr. Für de Jemüsesuppe is' et leider zu spät.«
Olga umarmte mich. Wie ich den Wurststand wiedergefunden hatte, wusste ich nicht. Vielleicht hat der verzweifelte Mensch einen Sensor, um liebgewordene Menschen aufzuspüren.
»Jupp schläft noch. Der hat erst um siebzehn Uhr Dienst. Trinkst du was? Heute gibt es nur Bratkartoffeln mit Spreekraut und Würstchen.« Olga bemühte sich, ohne ihren Berliner Dialekt zu sprechen. Ich kam mir plötzlich so fremd vor. Aber sie duzte mich. Immerhin. Ich hatte ihr Vertrauen.
»Geht aufs Haus«, sagte sie und stellte mir eine Portion hin, die mein angegriffener Magen- und Darmtrakt kaum bewältigen würde. Aber beleidigen wollte ich sie auch nicht. Heuschrecken, Kakerlaken und Würmer waren leichter verdaulich.
Die letzten Rentner waren gegangen, um ihren Mittagsschlaf zu halten. Der Schneefall hatte aufgehört. Die Sonne kam heraus.
Olga drehte den Gasbrenner herunter. »Das ist alles so scheißteuer geworden«, schimpfte sie und stützte sich auf den Stehtisch. »Seit Phong nicht mehr ist, muss ich jedes Salatblatt in Westmark bezahlen. Ich weiß auch nicht, wo das hinführt.«
»Wie viel brauchst du?«
Olga wischte sich die Hände an einem Handtuch ab, das Kleiner Drache nicht hätte durchgehen lassen.
»Wie meinst du das?« Sie sah mich misstrauisch an, klapperte mit der Wurstzange wie mit dem Maul eines schwimmenden Drachen.
»Wie viel Westmark brauchst du, um hier die nächsten Monate einkaufen zu können?«
Olga kam näher und schenkte mir einen Wodka ein.
»Was willst du dafür?«
»Eine Auskunft. Mehr nicht.«
»So, so. Nur eine Auskunft. Warum suchst du dann nicht in der Bendlerstraße? Da ist alles über uns gesammelt.«
»Die Details will ich nicht wissen. Nur wie das Verhältnis von Jupp, deinem Mann, zu Ewald ist. Beide tun doch an zwei Übergängen Dienst. Sie sind Kollegen. Wie stehen sie zueinander?«
Olga verzog das Gesicht und schenkte sich selbst ein. »Ist das alles?« Ich nickte.
»Die Auskunft kannst du für zweihundert Westmark haben. Oder ist das zu viel?«
Ich schob zwei Fünfziger über die verklebte Tischplatte. Sie verschwanden sofort in ihrem Kittel.
»Kommt drauf an, ob ich die Information interessant finde. Wenn ja, dann zahle ich noch einmal.«
Olga lief rot an. Ihr Blutdruck trieb ihr D-Mark-Zeichen in die Augen.
»Wie soll ich das sagen?«, suchte sie plötzlich nach Worten. »Jupp und Ewald waren mal befreundet. Seit ihrer Zeit als junge Pioniere waren sie unzertrennlich. Haben gemeinsam Fußball gespielt und jeden Scheiß gemacht, den junge Männer eben so machen.« Sie hustete. »Kann ich mal eines von deinen Zigarillos haben? Ich darf ja eigentlich nicht mehr rauchen. Aber der Fettdampf den ganzen Tag ist noch schlimmer.«
Ein paar Knirpse holten Bratkartoffeln im Pappbecher und eilten davon, bevor sie kalt wurden.
»Siehst ja selbst, in welcher Scheiße wir stecken. Die Leute können sich nur noch das leisten, was sie mit ihren ollen Ostmark kaufen können. Dann kaufen sie sich sogar die Kartoffeln in Scheiben. Ach ja. Wo war ich stehen geblieben? Ewald und Jupp.«
Sie bestieg wieder ihren Würstchenthron im Wohnwagen und kratzte den Grill mit einer Stahlbürste frei.
»Jupp hat sich von der Volksarmee über die Vopo hochgearbeitet. Weiter hat er es nicht gebracht. Ewald kam aus einem besseren Haus. Der hatte zwar anfangs den gleichen Ausbildungsweg. Wurde aber schnell ein hohes Tier bei der Stasi. Bis ihm die Flucht seines älteren Bruders das Genick gebrochen hat. Dann wurde er degradiert und zu den Grenzern gesteckt. Dass man ihn nicht in die Ecke der Volksfeinde gesteckt hat, hatte er seinem jüngeren Bruder zu verdanken. Der ist ...«, sie überlegte, »nee, der war ein hohes Tier bei der NVA. Der hat die Hand über Ewald gehalten. Bis er als Berater nach Asien ging. Seither hat man von dem nichts mehr gehört. Ewald hat brav Dienst an der Grenze geschoben und alles denunziert, was nur den Anschein erweckte, in den Westen rüberzumachen. Kameradenschweine waren die Steigers alle. Unter Ewalds Kommando wurden mehr Flüchtlinge gefasst oder erschossen als unter jedem anderen Stasi-Mann der Grenzbataillone. Sind dir
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