Sailer und Schatz 01 - Das ist mein Blut
darüber, dass sie ihr nicht zutrauten, ihnen mit konkreten Fakten helfen zu können. »Scho, sonst hätt ich ja nicht mit Ihnen sprechen wollen. Er wollte zum Windhof hoch, im Osten, ich vergess immer, wie die Straßn heißt, aber ich zeigs Ihnen auf dem Stadtplan.« Sie verschwand und kam gleich darauf mit einer Straßenkarte wieder. Die beiden beugten sich gespannt darüber. »Ha, da hammer’s ja«, rief Frau Müller aus. »Elisabeth-Herold-Straße, sehn’S.« Das Wohngebiet Windhof lag nordwestlich des Castrums Sablonetum, ein gutes Stück entfernt. »Sind deine Leute da auch gewesen?«, fragte Eva angespannt.
»Glaub nicht. Wir haben ja nach möglichen Zeugen gesucht, und du siehst, da sind noch eine Straße und Bäume dazwischen, da wäre nichts zu holen gewesen.«
Eva trommelte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte, dann sah sie zu der Gastwirtin auf. »Ich nehme an, Sie sind da sicher, was die Straße betrifft?«
»Ganz sicher«, bestätigte die Frau, diesmal ohne beleidigtes Gehabe; sie merkte, dass ihre Geschichte Eindruck gemacht hatte. »Weil er hat gefragt, wie weit es ist, und ich hab gesagt, ein ganzes Stück, und er soll besser das Auto nehmen. Er hat gelacht und gemeint, er geht gerne ein Stück zu Fuß. Ich hab’s ihm auch auf der Karte gezeigt, wie Ihnen, und er hat sie sich angschaud und hat gsagd: Ach, des ist ja fast bei den Ruinen draußen, da bin ich schon ewig nimmer gwen.«
»Das hat er gesagt?«, fragte Rainer scharf nach. Sie nickte: »Und dann ist er los. Das war vielleicht um halber sechse.«
»Sonst hat er nichts mehr gesagt?« Eva wusste nicht, ob sie erfreut oder enttäuscht sein sollte. Hatten sie mehr erfahren, als sie zu hoffen gewagt hatten, oder viel weniger?
»Nur übers Wetter«, gab Frau Müller zurück. »Und irgendeinen Schmarrn über Kraniche.«
»Kraniche?«, wiederholte Eva verständnislos.
»Sieh da! Sieh da, Timotheus, die Kraniche des Ibykus!«, deklamierte Rainer frivol, doch die Gastwirtin sah ihn überrascht an. »So ähnlich was hat er gsagd«, meinte sie, und sie schien leicht beeindruckt. »Es klang wie ein Gedicht jedenfalls. Ich hab nichts gesagt, weil die Leute in so einer Gaststätte reden öfter Zeug zusammen, das würden’S ned glaum, sogar, wenn’s gar nichts getrunken ham.«
»Danke«, sagte Eva seufzend. Ihr kurzes Hochgefühl war verflogen. »Sollte Ihnen noch mehr einfallen, dann rufen Sie uns an, ja?«
Sie bedeutete Rainer, ihr zu folgen, aber bevor sie gingen, fiel ihr noch etwas ein. »Ach, Frau Müller, noch eines: Der Mann trug eine Lederjacke, nicht wahr? Hatte er irgendetwas bei sich, als er hier drinnen war?«
Ein langes nachdenkliches Schweigen folgte. Die Gastwirtin kratzte sich am Kopf und kniff die Augen zusammen, als ob sie sich so deutlicher an den Gast erinnern könnte. »Ja, ich glaub scho. Er hatte eine Taschen dabei, ich bin ziemlich sicher. So’n Beudl, wissen Sie, aus Leinen.«
»Aus Leinen?«, fragte Eva rasch zurück. »Nicht aus Jute, vielleicht?«
»Was is Jute noch mal? Ist des ned desselbe?«
»Ein gröberer, brauner Stoff«, half Rainer nach. Die Frau dachte wieder scharf nach, dann wiegte sie den Kopf. »Könnt scho sei. Jedenfalls so an Beudl.«
Der Himmel hatte sich leicht bewölkt, als sie wieder auf den Schlossplatz heraustraten. Rainer verschränkte die Arme und wippte unruhig auf den Zehenspitzen. »Und jetzt?«
»Du kannst fragen? Jetzt hören wir uns oben im Windhof um. Irgendwen muss Kronauer dort getroffen haben.«
Rainer stöhnte halbherzig. »Ich hasse es, von einer Tür zur nächsten zu gehen, aber es geht wohl nicht anders.«
»Idiot«, gab Eva freundlich zurück. »Ruf Friedolin an, der hat sich doch um die Telefonliste gekümmert. Vielleicht hat er eine Nummer, die mit einem Anschluss im Windhof übereinstimmt …«
Sie machten einen Abstecher in die Konditorei, um sich etwas Essbares mitzunehmen, dann gingen sie zu Fuß, so wie Kronauer zu Fuß gegangen war, Richtung Windhof, während sie auf Antwort aus der Polizeiinspektion warteten. Sie liefen eine Weile lang schweigend an den Barockhäusern entlang, die die Straße säumten.
Zwischen den schmucken Fassaden fiel Eva der schäbige Platz vor einer verlassenen Kirche auf, deren Fenster mit Brettern vernagelt waren. Der ungepflasterte Boden vor dem Eingang diente einigen Autos als Parkplatz und war ansonsten mit Müll und rankendem Unkraut bedeckt. Dem Ort haftete eine Aura der Verwahrlosung an, die hier auf der Hauptstraße
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