Sailer und Schatz 01 - Das ist mein Blut
»Sie hat so getan, als ob ich das Schlimmste gemacht hätte, was man sich überhaupt vorstellen kann. Sie ist Historikerin«, fügte er erklärend hinzu. »Für sie war das unvorstellbar. Den Besitz eines Juden zu verkaufen – für sie war es, als ob ich der schlimmste Nazi gewesen wäre!« Eva sagte nichts dazu, aber der alte Mann schien ihr Schweigen als Vorwurf zu empfinden. »Sie sind genauso wie sie. Ihre Generation – ich sage Ihnen, das hatte nichts damit zu tun. Ich wollte Geld, und ich weiß, dass ich die Sachen nicht hätte verkaufen dürfen.«
»Wann hat Ihre Tochter davon erfahren?«, wollte Eva wissen. Sandra Schneider verzierte ihre Notizen während der Gesprächspausen mit ausladenden Ranken.
»Sie hat den Brief gesehen«, antwortete Weiher. »Ich hatte ihn aufgehoben, er kam schon vor vielen Jahren, noch in den Sechzigern. Von Jakob Blumenthal – Martins Sohn, der in der Schweiz lebt. Er hatte damals geschrieben, dass sein Vater gestorben sei und dass er nicht nach Deutschland zurückkehren würde. Falls der Koffer mit den Schmuckstücken seines Vaters noch in unserem Besitz sei, könnten wir alles behalten, nur den Aquamarinring, den hätte er gerne als Andenken.«
»Aber den hatten Sie auch verkauft?«, fragte Eva. Weiher nickte grimmig. »Ja. Ich habe den Brief aufgehoben, und dann vor ein paar Wochen war Elisabeth bei mir, wir haben ein paar alte Kisten mit Papieren aussortiert, und dabei hat sie ihn gefunden. Ich musste ihr alles erzählen, und danach hat sie mich angeschaut, als ob ich ihr schlimmster Feind wäre.«
»Warum haben Sie den Brief denn nicht vernichtet?«, fragte Sandra Schneider – es war das erste Mal, dass sie den Mund aufmachte. Weiher zog die Brauen zusammen und starrte sie aus seinen wässrigblauen Augen an. »Ich habe mir immer gedacht, dass ich ihn irgendwann beantworten würde. Dass ich ihm sagen würde, dass ich den Ring nicht mehr hätte, und dass es mir leid täte. Ich habe zwar gewusst, dass ich es nie tun würde, aber solange der Brief da war, hätte ich es machen können.«
Eva nickte. Sie hatten erfahren, was sie wollten. Sie machte schon Anstalten, aufzustehen, als ihr noch eines einfiel: »Hat Ihr Vater nie davon erfahren, dass Sie Blumenthals Schmuck verkauft haben?«
Weihers knochiges Gesicht wurde abweisend. »Doch«, erwiderte er ein wenig unwirsch. »Durch Zufall, von den Hahns.«
»Und wie hat er reagiert?«
Der farblose Mund des alten Mannes wurde schmal wie ein Strich. »Wir hatten einen Streit«, sagte er knapp.
Eva stand auf. »Danke für Ihre Hilfe. Wir melden uns, falls wir noch etwas wissen wollen.«
Sandra Schneider packte gerade ihre Notizen zusammen, als es an der Tür klingelte. Weiher warf einen schnellen, unruhigen Blick auf die beiden Polizistinnen und öffnete dann. Eva, die sich nicht gewundert hätte, Elisabeth Baarer-Weiher oder vielleicht auch den mahnenden Geist des toten Goldschmieds Martin Blumenthal vor sich zu sehen, erkannte wütend Pfarrer Herwig Römer, der es ganz offensichtlich nicht lassen konnte, sich in diesen Fall einzumischen.
Die scharfe Bemerkung, die sie schon auf der Zunge hatte, erstarb, als ihr der uniformierte Beamte hinter Römer auffiel und sie das todernste Gesicht des Geistlichen sah. Einen Moment lang sagte keiner etwas. Ein einziger Gedanke stand beinahe sichtbar im Raum zwischen ihnen. Weiher, der kalkweiß geworden war, brach als Erster das Schweigen: »Ist sie tot?«
26
Rainer hatte sich gerade mit einer Lasagne auf der einen und seinen Notizen auf der anderen Seite an einem Kantinentisch niedergelassen, als Eva, Sandra Schneider und der uniformierte Beamte mit den Neuigkeiten hereinplatzten. »Elisabeth Baarer-Weiher liegt im Krankenhaus in Weißenburg, bewusstlos«, rief Eva und schritt unruhig hin und her. Rainer wusste, was sie dachte – die ewige Frage, ob sich diese Entwicklung hätte verhindern lassen, wenn sie etwas schneller gearbeitet, etwas besser aufgepasst hätten.
»Es war ein Raubüberfall in der Nähe ihrer Wohnung«, wandte der Beamte ein. »Ich bezweifle sehr, dass es mit Ihrem Fall zu tun hat.«
Aber Eva und Rainer wechselten einen raschen Blick, der zeigte, dass beide anderer Ansicht waren. »Wann?«, fragte er und schob seinen Teller fort.
Eva setzte sich ihm gegenüber. »Heute Morgen oder am frühen Vormittag, gerade als sie aus dem Haus ging. Ein Schlag auf den Kopf mit einem harten Gegenstand, noch nicht identifiziert. Der Täter hat ihr die Handtasche
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