Sailer und Schatz 01 - Das ist mein Blut
schmucken Fachwerkhäusern. Er parkte am Straßenrand, ignorierte die Aufforderung, die Parkscheibe einzustellen, und stieg nachdenklich aus. Er war sich auf einmal nicht mehr ganz sicher, weshalb er eigentlich gekommen war. Was er wissen wollte, hätte er wahrscheinlich ebenso gut telefonisch erfahren können. In Wahrheit hatte er einfach herausgewollt, anstatt brav in der Station auf Evas Rückkehr zu warten. Außerdem war er ein wenig neugierig auf Klara Weiß. Er wanderte langsam die Straße hinunter.
Das kleine Café an der Brücke über die Rezat war fast leer. Er setzte sich an einen Tisch, von dem man auf die Straße sah und ordnete seine Gedanken, bis Klara Weiß eintraf. Fast wie bei einem Blind Date, dachte er belustigt, als die Tür aufging und er die Frau erblickte, die sich zögernd umschaute, dann auf ihn zukam und leise fragte: »Herr Sailer?« Nur dass sie bei einer Verabredung seinen Vornamen benutzt hätte …
»Danke, dass Sie sich noch einmal Zeit genommen haben«, entgegnete er. »Wo haben Sie denn Ihre Tochter?«
»Sie ist am See. Mit einer anderen Familie.«
»Sie haben sich Ihre Ferien im fränkischen Seenland wahrscheinlich anders vorgestellt«, bemerkte Rainer höflich.
Sie antwortete nicht direkt, sondern sagte nach einem kurzen Schweigen: »Armer Dietmar.« Dann fragte sie lebhafter: »Was möchten Sie noch wissen?«
»Sie haben den Montag gemeinsam am See verbracht, ist das richtig?« Und als sie nickte, fuhr er fort: »Den ganzen Tag? Hat er Ihnen irgendetwas über seine Pläne erzählt? Wann ist er gegangen? Hat er zwischenzeitlich telefoniert?«
Die Kellnerin brachte ihre Getränke, und Klara kramte derweil in ihrer Handtasche. »Wir waren so bis vier Uhr nachmittags am See – er hat gerne etwas mit Constanze unternommen, er wollte noch … Sie hatten noch so viel vor zusammen«, murmelte sie. »Und jetzt ist eine Bootsfahrt auf dem Brombachsee das Einzige, was Constanze je mit ihrem Vater erlebt hat.« In ihrer Stimme hörte man die zerstreute Ungläubigkeit, die er schon häufiger bei den Angehörigen von Verstorbenen bemerkt hatte – eine schwer fassbare Verwunderung über die Endgültigkeit des Todes, die man immer wieder vergaß und die einen immer wieder aufs Neue schockierte, wenn sie einem bewusst wurde. »Ja, er hat telefoniert«, sagte sie. »Einmal hat er Elisabeth angerufen – ich weiß nicht, ob Sie von ihr wissen, Elisabeth Baarer-Weiher. Sie sind gute Freunde.«
»Wir haben mehrmals vergeblich versucht, sie zu erreichen. Kennen Sie sie? Und hat er mit ihr selbst gesprochen oder nur eine Nachricht hinterlassen?«
»Ich habe sie ein paar Mal getroffen«, antwortete Klara mit einem Gesichtsausdruck, der verriet, dass die Begegnung – oder die Frau – nicht nach ihrem Geschmack gewesen war.
»Waren die beiden ein Paar?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Sie waren gute Freunde. Ich glaube, anfangs sind sie zusammengewesen. Der Anruf – ja, er hat mit ihr selbst gesprochen, aber nur ganz kurz. Er hat gesagt, tut mir leid, dass ich dich gestern beim Mittagessen versetzt habe – die beiden hatten morgens etwas zusammen unternommen, aber er ist dann einfach verschwunden.«
Rainer nickte langsam. »Nach unseren Informationen war Kronauer am Sonntagvormittag mit einer Frau in der Kirche in Buchfeld«, erklärte er.
»In der Kirche?«, wiederholte Klara verblüfft. »Na ja, das ist mal etwas Neues.« Sie schüttelte verwundert den Kopf, fuhr dann aber fort: »Jedenfalls ist Dietmar bei dem verabredeten Mittagessen nicht aufgekreuzt und hat sich dafür entschuldigt. Und dann …« Sie zögerte und blickte Rainer direkt an. »Hören Sie, ich weiß nicht, worum es bei dem Rest des Gesprächs ging, ich habe es nur am Rande gehört, weil wir eben alle drei im Boot saßen.«
»Was hat er noch gesagt? So weit Sie sich halt erinnern können, ich weiß, dass das nicht leicht ist.«
Sie biss sich auf die Lippen. »Sie hat ihn irgendetwas gefragt, und er hat geantwortet, ja, das … nein, ich kriege es nicht mehr ganz zusammen, Herr Sailer. Es klang nach: ›Ja, das ist nicht das Problem, aber bist du wirklich sicher?‹ Oder vielleicht: ›Bist du wirklich sicher, dass du das wissen willst?‹ … Und dann hat er noch hinzugefügt, er würde wieder anrufen, wenn er mehr wüsste. Das – das ist alles.«
Rainer wusste nicht, ob er sich freuen oder fluchen sollte. Der Kelch. Heinrich Weiher, der bei dem Antiquitätenhändler nach seiner Tochter fragte. Und jetzt dieses
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