Sailer und Schatz 01 - Das ist mein Blut
die Frau persönlich gerichtet war, nicht einfach gegen irgendjemanden, der dem Täter zufällig über den Weg lief. Aber das ist meine persönliche Meinung, wenn Sie so wollen, keine professionelle Einschätzung.«
»Danke«, sagte Eva schlicht. »Das genügt im Moment auch. Geben Sie mir Bescheid, wenn es Frau Baarer-Weiher besser geht.«
»Wenn Sie mit ihr sprechen können, meinen Sie?«, fragte der Arzt ein wenig spöttisch.
Sie lächelte. »Sie können sich das vielleicht nicht vorstellen, aber auch unabhängig von ihrer Aussage möchte ich erfahren, dass sie wieder in Ordnung kommt.« Sie dachte an die Stimmen der beiden Opfer auf dem Anrufbeantworter und fühlte einen unerwarteten Zorn auf die Person, die ihnen aufgelauert und mit solcher Brutalität zugeschlagen hatte. Wie konnte sich irgendein Mensch das Recht herausnehmen, diese Stimmen zum Schweigen zu bringen? Etwas von ihren Gedanken musste sich auf ihrem Gesicht widergespiegelt haben; Dr. Janson lächelte, während er sich erhob. »Es muss schwierig sein, geduldig zu warten, wenn so ein Schläger irgendwo frei herumläuft. Viel Erfolg.«
29
Es war inzwischen ganz dunkel geworden, und draußen stürzte noch immer der Regen herab, als wollte er nie wieder aufhören. Eva war froh, dass Rainer darauf bestanden hatte, mit den Kollegen von der Spurensicherung nach Weißenburg zurückzufahren, um ihr den Umweg zu ersparen. Auch so war der Heimweg bei diesem Wetter lang und unangenehm. Und die Wohnung leer und still – Irene war längst zu ihrem Nachtdienst aufgebrochen. Eva setzte sich mit Brot und einem Joghurt ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein, um wenigstens so etwas Ähnliches wie Gesellschaft zu haben. Für mehrere Gebiete in Bayern waren Hochwasserwarnungen ausgegeben worden, erfuhr sie, und die Nachrichten informierten über die Wetterkapriolen im übrigen Europa. Schneestürme auf Korsika, während der europäische Teil Russlands den heißesten Mai seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen vor 130 Jahren erlebte. Und inmitten dieser verrückten Wetterlage saß Eva und musste herausfinden, warum Dietmar Kronauers Blut in einen Abendmahlskelch geflossen war, den ein jüdischer Goldschmied vor mehr als siebzig Jahren angefertigt hatte, und warum jemand eine Geschichtswissenschaftlerin schwer verwundet hatte, die die Wahrheit über einen alten Todesfall und über die mögliche Schuld ihres eigenen Vaters daran hatte herausfinden wollen. Eva erinnerte sich plötzlich an eine Frage, die sie vergessen hatte, dem Arzt zu stellen, deshalb schaltete sie den Ton ab, nahm das Telefon und wählte nach kurzem Zögern eine Nummer.
»Johannes Römer«, meldete sich eine krähende Jungenstimme. »Wer ist da?«
»Hallo Johannes, hier ist Frau Eva Schatz von der Polizei. Ist dein Vater zu sprechen?«
Ein kurzes Schweigen, dann brüllte das Kind aus vollem Hals mitten in den Hörer: »Papa! Te-le-fon!« Eva zuckte zusammen und fragte sich, ob man von einem solchen Kinderschrei einen Hörschaden davontragen konnte.
»Ist Heinrich Weiher heute zu seiner Tochter ins Krankenhaus gefahren?«, fragte sie ohne lange Vorrede, sobald Herwig Römer sich gemeldet hatte. Der Pfarrer bejahte. »Ich bin mit ihm zusammen da gewesen, allerdings war es nur ein kurzer Besuch. Der Mann war ziemlich mitgenommen.«
»Und danach?«
»Habe ich ihn nach Hause zu sich gefahren und alleine gelassen. Er wollte keine weitere Begleitung.«
»Hm.« Eva begann sich zu fragen, was sie mit ihrem Anruf eigentlich bezweckt hatte. Wahrscheinlich hatte sie der Angriff auf Elisabeth Baarer-Weiher verunsichert, und nun saß ihr die Furcht im Nacken, dass sie und Rainer noch einmal zu spät kommen könnten, um eine weitere Gewalttat zu verhindern. »Römer, sag mir eines: Hat der Weiher irgendetwas gesagt, was vielleicht mit dem Fall zu tun haben könnte?«
»Mit welchem Fall?«, fragte Römer unschuldig zurück. »Kronauer oder Baarer-Weiher? Oder gibt es da eine Verbindung?«
»Verdammt, da draußen läuft ein Mörder herum!«, schrie Eva anstelle einer Antwort. Ein Teil von ihr registrierte mit einer gewissen Überraschung, wie wenig Selbstbeherrschung ihr an diesem Abend geblieben war. Römer reagierte mit der Professionalität des Seelsorgers – jedenfalls schrie er nicht zurück, sondern sagte etwas, was irgendwie beruhigend klang, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was es war. Dann erklärte er besänftigend: »Es tut mir leid, Heinrich Weiher hat sehr wenig gesagt, die
Weitere Kostenlose Bücher