Sailer und Schatz 01 - Das ist mein Blut
ganze Zeit über. Was er aber immer wiederholt hat, war so etwas wie: ›Ich verstehe es nicht, ich verstehe nicht, wie das passieren konnte.‹«
»Das war alles?«
Römer dachte nach. »Er hat noch gemeint, er könnte nicht begreifen, wieso sie ihn nicht wenigstens angerufen hatte.«
»Hm. Gehst du morgen noch einmal zu ihm?«
Römer zögerte mit der Antwort. »Durchaus möglich«, erwiderte er ausweichend. »Wieso?«
»Wie mein Kollege dauernd erwähnt, ist dies ein Fall der Polizei, aber wenn Weiher dir gegenüber irgendetwas erwähnt, das Licht in die Sache bringen könnte, wüsste ich das gerne.«
Der Pfarrer schien schockiert und schwieg, dann sagte er merklich betroffen: »Soll das heißen … Ich möchte lieber gar nicht wissen, was du denkst, aber du weißt, dass es eine seelsorgerliche Schweigepflicht gibt. Wenn mir der Mann im Vertrauen etwas mitteilen würde, könnte ich es nicht weitergeben …«
Eva schluckte eine unfeine Erwiderung hinunter, konnte es sich aber nicht verkneifen zu sagen: »Es geht immerhin um einen Mord. Wenn du das verantworten kannst …« Sollte er das moralische Dilemma ruhig zu spüren bekommen.
»Falls es anderweitig etwas gibt, was ich tun kann«, bot Römer mit einem Anflug von Ironie in der Stimme an.
»Nein danke«, fauchte Eva ziemlich wütend. »Außer du lässt dich als Nächstes von unserem Täter niederschlagen, das würde doch wenigstens allen etwas nützen.«
»Papa, was ist eine Schweigepflicht?«, schrie Johannes im Hintergrund. Eva gab auf. Der Bildschirm des stummgeschalteten Fernsehers zeigte eine Frau, der ein Mann mit Revolver in einer Tiefgarage auflauerte. Angewidert schaltete sie das Gerät aus.
30
Rainer, der mittlerweile von den Beamten der Spurensicherung zur Polizeiinspektion gebracht worden war, wusste nicht recht, was ihn dazu bewegte, ein weiteres Mal zum Brombachsee hinauszufahren, noch dazu im Dunkeln und im weiterhin strömenden Regen. Er war erfüllt von einer Rastlosigkeit, die nach körperlicher Bewegung verlangte. Mit Regenzeug und Taschenlampe versehen, fuhr er zum Parkplatz Nord, der verlassen und voller Pfützen war. Er kämpfte sich den schlammigen Fußweg hinauf, bis vor ihm der Saum eines Wäldchens auftauchte, schwärzer noch als die übrige Dunkelheit. Den See sah er erst, als er über die Hügelkuppe gekommen war, und auch dann nur schemenhaft, verschleiert von Regenvorhängen. Im Sommer wäre um diese Zeit um den See herum vielleicht noch etwas los gewesen, überlegte er, während ihm das Wasser über die Kapuze tropfte. Dann erinnerte er sich daran, dass beinahe schon Sommer war. Die ungewöhnlich warmen Temperaturen der letzten Woche schienen in ferner Vergangenheit zu liegen. Rainer setzte sich entlang des Ufers ziellos in Bewegung und versuchte, nicht an den Fall zu denken, aber die Gedanken kamen trotzdem. Wenn Heinrich Weiher wirklich seinen Vater umgebracht hatte, wenn er Kronauer und seine eigene Tochter deshalb angegriffen hatte, damit das nach dieser langen Zeit nicht herauskam, wo standen sie dann mit ihren Ermittlungen? Gab es vielleicht noch weitere Leute, die in Gefahr waren? Und was, wenn sie sich täuschten, wenn sie vielleicht auf der falschen Spur waren und der Täter weiterhin freie Bahn hatte? Der Wind trieb den Regen in Böen vor sich her, und Rainer fröstelte. Die Seeoberfläche war bewegt von Wellen und aufspritzendem Regen, der über das allgemeine Rauschen ein trommelndes Stakkato legte. Schwer zu glauben, dass noch am Nachmittag Klara Weiß’ Tochter und andere Seegäste am selben Ufer gesessen hatten. Ein weniger einladenderer Ort als dieser ließ sich augenblicklich kaum vorstellen. Was tat er eigentlich hier bei diesem Wetter? Rainer kehrte um und stapfte tropfnass zu seinem Auto zurück, konnte aber immer noch nicht das Gefühl loswerden, irgendetwas unternehmen zu müssen. Schließlich fuhr er zu Heinrich Weihers Haus und hielt dort am Rinnstein. Mindestens eine halbe Stunde lang saß er so da und starrte hinauf zu der Wohnung des alten Mannes, aber nichts regte sich in dem Gebäude, und die Fenster blieben dunkel.
Es war nach elf Uhr, als Rainer frierend und frustriert nach Hause kam. Heißhungrig aß er mehrere Scheiben Käsebrot, ging dann mit vollem Magen und Kopf ins Bett und hatte in der Folge wirre und beunruhigende Träume, in denen er mit Klara Weiß und Otto Glaubnitz die Sommerrodelbahn heruntersauste, während Heinrich Weiher als schemenhafte Gestalt neben der Bahn
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