Sailer und Schatz 01 - Das ist mein Blut
Seitentischchen gesetzt und die Mappe aufgeschlagen. »Hier – hier. Das hat Kronauer ihr offensichtlich geschickt.« Er reichte ihr ein paar zusammengeheftete Blätter, auf das oberste war ein Zettel geklebt worden, auf dem in einer schwungvollen, etwas unleserlichen Handschrift stand: »Das ist alles, was ich bisher finden konnte. LG, Dietmar.«
Es handelte sich um Kopien von Zeitungsausschnitten. Kronauer hatte das Datum jeweils mit Leuchtstift markiert. Die erste Nachricht – nur ein knapper Artikel von wenigen Zeilen – war auf den 17. Dezember 1955 datiert. »NN«, hatte Kronauer darüber notiert und hinzugefügt: »Auch im Weißenburger Anzeiger – von einem Dilettanten formuliert.« Sie handelte von dem Tod eines Weißenburger Arztes, der in seiner Wohnung von einem umgestürzten Bücherregal erschlagen aufgefunden worden war. Die Polizei ging von einem Unfall aus, ermittelte aber noch, wie es zu dem Unglück hatte kommen können. Rainer sah Eva mit hochgezogenen Brauen an. »Deshalb habe ich an allen meinen neuen Möbeln brav den mitgelieferten Kippschutz angebracht. Skurrile Art, ums Leben zu kommen.«
»Hier, jetzt kommt es«, erwiderte Eva mit angespannter Stimme, als sie das nächste Blatt aufgeschlagen hatte. »Samstag, 24. Dezember 1955, Heiligabend«, las sie laut. »Zweifel an Unfallversion. Im Falle des vor einer Woche von einem Bücherregal erschlagenen Arztes Friedrich Weiher hat die Polizei den Sohn des Verstorbenen befragt. Im Laufe der bisherigen Ermittlungen waren Zweifel laut geworden, ob es sich bei dem Todesfall tatsächlich um einen Unfall handelte. Nachbarn berichteten von einem heftigen Streit zwischen Vater und Sohn am späten Nachmittag des Tages, an dem der Mediziner ums Leben kam. Der Befragte räumte ein, dass es zwischen ihm und seinem Vater ›wegen Geldangelegenheiten‹ zu einer Auseinandersetzung gekommen sei, betonte aber, er habe den ganzen Abend auswärts verbracht und seinen Vater erst am Morgen tot in seiner Bibliothek aufgefunden.« Kronauer hatte das Wort Nachbarn mit Textmarker angestrichen und neben die Kolumne ein Ausrufezeichen gesetzt. Unter den Artikel hatte er mit Bleistift geschrieben: »Über Verstrickungen d. Arztes Fr. Weiher whrd. d. Nazizeit nichts zu erfahren.«
Eva legte die Kopien auf den Tisch zurück und sah Rainer an, doch der zwirbelte das Kabel des Anrufbeantworters zwischen den behandschuhten Fingern und blickte nicht auf. Beide hatten die ganze Zeit darauf gewartet, dass die Dinge endlich einmal anfingen, einen Sinn zu ergeben, aber jetzt wollte keiner etwas sagen.
Rainer ließ das Kabel los und griff nach den Blättern. »Kein weiterer Artikel über die Sache«, murmelte er, während er die beiden Nachrichten noch einmal überflog. Eva nickte: »Die Sache wird im Sand verlaufen sein. Keine Beweise, keine ausreichenden Verdachtsmomente …«
»Aber die Baarer-Weiher muss geglaubt haben, dass ihr Vater Friedrich Weiher vielleicht doch ermordet hat.«
»Und Kronauer hat für sie die alten Zeitungsberichte recherchiert – da kannte er sich schließlich aus.«
»Und was meinst du – könnten die beiden Recht gehabt haben? Ist da was dran?«
Eva nickte grimmig. »Wenn wir uns anschauen, was mit den beiden passiert ist, als sie anfingen, genau diese Frage zu beantworten, würde ich sagen: ja. Allerdings – ganz passt das alles noch nicht zusammen. Aber wir schauen, was wir noch finden können. Also, was machen wir jetzt?«
28
Das Rother Krankenhaus lag nur einen Katzensprung entfernt von Elisabeth Baarer-Weihers Wohnung. Die Abenddämmerung hatte gerade erst eingesetzt. Und doch wirkte es bereits viel dunkler, da der Himmel von schweren Regenwolken verhangen war und es jetzt wieder heftig schüttete. Die Straßen glänzten vor Nässe, und die Sicht war extrem schlecht. Das Wasser gurgelte in den Rinnsteinen und Gullys. Eva atmete auf, als sie in die kühle, trockene Helligkeit des Krankenhauses trat, nach dem Wetter und der Dunkelheit draußen begegnete ihr hier eine andere Welt, wenn auch keine gemütliche. Vor allem störte sie der Geruch nach Krankheit, Desinfektionsmitteln und, so hätte sie schwören können, nach Angst.
Der Arzt, der sich um Elisabeth Baarer-Weiher kümmerte, erschien schon einige Minuten, nachdem Eva sich am Empfang gemeldet hatte. »Janson, guten Abend«, begrüßte er sie und streckte ihr die Hand hin. Der Mann sah überarbeitet aus. »Kommen Sie, setzen wir uns in den Alkoven da drüben. Sie versuchen,
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