Sailer und Schatz 01 - Das ist mein Blut
er mit trägem Spott. »Ich äußere gerne Gemeinplätze. Originalität wird im Allgemeinen stark überbewertet.« Dann richtete er sich plötzlich auf und fügte ein wenig erschrocken hinzu: »Das trifft sich auch gut, denn wenn ich jetzt nicht ganz schnell heimfahre und meine Predigt schreibe, muss ich mich morgen im Gottesdienst mit leeren Phrasen aus der Affäre ziehen.«
»Ich habe ehrlich gesagt noch nie etwas anderes als leere Phrasen von einem Pfarrer gehört«, entgegnete sie trocken. »Was für eine frohe Botschaft hast du morgen denn zu erzählen? Dass Christus die Menschen mit seinem kostbaren Blut vom Bösen befreit hat? Das einzige Blut, das ich in diesem Fall gesehen habe, war das von Kronauer im Kelch, und das hat weder ihm noch sonst jemandem geholfen.«
Einen Moment lang sah Römer aus, als ob er nicht wüsste, was er darauf antworten sollte; aber dann verschanzte er sich wider hinter seinem üblichen, halb ironischen Lächeln und sagte: »Du hast völlig Recht. Vielleicht sollte ich versuchen, dieses Problem morgen im Gottesdienst aufzugreifen. Ich bin für jede Anregung offen. Ach, und überhaupt, hast du nicht als Gegenleistung für meinen Rat und meine seelsorgerliche Anwesenheit heute Abend versprochen, mir bei meiner Predigt zu helfen?«, fragte er im unschuldigsten Tonfall.
»Geh einfach, Römer«, seufzte sie. Wenn sie in diesem Gespräch schon den Kürzeren zog, wollte sie wenigstens das letzte Wort haben.
44
»Da, das dürfte wohl dir gehören.« Bernd Gollwitzer kam in das kleine Büro und legte ein Handy auf den Schreibtisch. »Er hatte es im Wagen dabei – Kahlert, mein ich.«
»Funktioniert’s noch?«, fragte Rainer zweifelnd. Eva, die vor ein paar Minuten zu ihnen gestoßen war, lachte: »Meinst du, er hat es mit seiner Bosheit vergiftet?«
»Mein Auto ist jedenfalls hinüber«, murmelte er trübsinnig anstelle einer Antwort.
Eva lächelte. »Sei doch froh! Das war doch eh bloß eine Einkaufstasche auf Rädern. Kauf dir das nächste Mal ein richtiges Auto.«
»Haha«, machte er missgelaunt. Es war später Abend, aber da am nächsten Tag keiner in die Station kommen wollte, hatten sie beschlossen, das ganze Team noch einmal zu versammeln und alles zu einem Punkt zu bringen, an dem man den Fall Kronauer als weitgehend gelöst bezeichnen konnte. »Und Kahlert will nichts sagen?«, erkundigte sich Friedolin. Sandra Schneider zuckte mit den Schultern. »Er hat geschwiegen, bis wir ihm von dem Brief seiner Mutter erzählten. Dann hat er wenigstens ein Teilgeständnis abgelegt – allerdings wisst ihr ja, wie’s ist. Ob er das vor Gericht aufrechterhält …«
»Was hat er gesagt? Über Kronauer?«
»Eigentlich fast nur über Elisabeth Baarer-Weiher. Er hat gesagt, sie sei selbst schuld, warum sie sich einmischen musste, und auf seinen Angestellten, den Werner Blum, hat er furchtbar geschimpft, weil er ihm ihren ersten Anruf nicht ausgerichtet hat.«
»Ich verstehe eh nicht, was er sich von dem Angriff auf sie versprochen hat«, gestand Rainer. »Wenn er sie zum Schweigen bringen wollte, warum hat er sie dann nicht getötet? Und wenn sie nichts wusste, warum hat er sie dann überhaupt angegriffen?«
Sandra Schneider spielte mit ihrem Notizblock in der Hand. »Ich glaube, genau das hat ihn so aufgeregt. Er hat Kronauer getötet, damit der alte Todesfall von Friedrich Weiher nicht wieder ans Licht gezerrt wird. Und dann hat er zu spät erfahren, dass da noch jemand im Spiel war und dass die Lage jetzt viel gefährlicher war als vorher. Deshalb dieser gewalttätige Angriff auf sie. Da ging es nicht mehr so sehr darum, einen Mord zu vertuschen, sondern das war blanke Wut.«
»Überführen lassen wollte er sich trotzdem nicht«, warf Rainer trocken ein.
»Und das alles für eine Mutter, die ihn gar nicht zur Welt bringen wollte und dann zur Adoption freigegeben hat.« Gollwitzer schüttelte verständnislos den Kopf. »Und er hat niemanden wissen lassen, dass sie seine Mutter war, nicht mal seine Frau. Trotzdem hat er für sie gemordet.«
»Fall für die Psychologen«, meinte Eva. »Ich kann schon das Gutachten hören: Ungesunde Bindung an die Mutter, die er hasste und mit der er sich gleichzeitig solidarisch erklären musste … Oder was auch immer sie am Ende aus ihm machen werden, ein Opfer seiner Mutter oder der Gesellschaft.« Wie ein Echo hörte sie Herwig Römers Stimme, als er auf die tote Margarete Hofmann herabgesehen hatte: »Ich bin nicht gekommen, Frieden zu
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