Sailer und Schatz 01 - Das ist mein Blut
etwas mit dem … mit dem Mord zu tun haben.«
Eva hatte genug mitbekommen, um neugierig zu werden und blieb stehen. Ob Klara Weiß wirklich noch etwas Neues beitragen konnte? Rainer hörte noch eine Weile zu, dann sagte er: »Ja, danke sehr, das würde ich mir wirklich gerne noch einmal anschauen … Sie sind noch in der Gegend … Natürlich« – an Eva gerichtet: »Zur Beerdigung … Morgen – klar, das macht nichts, wenn Sie die Zeit haben … Im Brückencafe, okay. Bis morgen.«
Er stöberte in seiner Schreibtischschublade, nachdem er aufgelegt hatte, und Eva konnte sein Gesicht nicht sehen. »Nun?«, fragte sie, als er ihrer Meinung nach lange genug geschwiegen hatte.
»Kronauer muss schon gewusst haben, dass Kahlert der Sohn von Margarete Hofmann ist«, antwortete Rainer beiläufig. »Klara Weiß hat einen Zettel gefunden, auf dem er sich Notizen zu einer Agentur gemacht hatte, die Eltern mit ihren leiblichen Kindern wieder zusammenbringt.«
»Und den Zettel soll sie dir morgen geben?«, fragte Eva noch einmal, nur um ganz sicher zu gehen.
Sein »ja« hatte etwas allzu Selbstverständliches an sich. Eva beugte sich über den Schreibtisch und sah ihm direkt ins Gesicht. »Du, Rainer, ich weiß wirklich nicht, wie ich’s dir sagen soll«, erklärte sie mitfühlend. »Aber wir haben den Fall Kronauer heute Abend gelöst.«
»Hm, ja«, murmelte Rainer nichtssagend. Er dachte darüber nach, was er anziehen sollte und ob er noch gebügelte Hemden besaß, und wenn nicht, ob er sich selbst ans Bügelbrett stellen oder seine Mutter fragen sollte.
Eva musste sich das Lachen verkneifen. »Verstehe«, meinte sie. »Als vorbildlicher Polizist wirst du dieser Sache auch noch nachgehen und deine Sonntagsruhe opfern, auch wenn es noch so unwahrscheinlich ist, dass dieser Zettel von Kronauer jetzt noch von Bedeutung ist, ja?«
»Genau«, stimmte Rainer zu, und sein betont freundlicher Blick war eine Warnung, sich jedes weiteren Kommentars zu enthalten.
Sie fragte sich kurz, ob sie ihn daran erinnern sollte, dass Klara Weiß außer einer achtjährigen Tochter auch einen neuen Lebensgefährten hatte, entschied sich aber dagegen. Schließlich musste er selbst wissen, was er tat. Wenn es nichts wurde – wie hatte Herwig Römer so platt, aber wahr angemerkt? »So ist das Leben.«
Epilog
»Sorgt euch nicht, was ihr reden werdet, denn der Geist wird euch zur nämlichen Stunde lehren, was ihr sagen sollt«. Herwig Römer schlug mit einem selbstironischen Lächeln die Bibel über der eingemerkten Stelle des Lukasevangeliums zu und öffnete die Schrankschublade, in der Adi seine Beffchen für den Gottesdienst aufbewahrte. Wenn dieses Bibelwort jemals zutraf, dann musste es heute sein. Denn er hatte keine Ahnung, was er heute in der Kirche sagen würde. Als er am vergangenen Abend heimgekommen war, hatte er noch eine ganze Weile über Evas Worte nachgedacht – wie das sinnlos vergossene Blut Dietmar Kronauers zu der frohen Botschaft vom erlösenden Blut Christi passte. Und als er lange nach Mitternacht endlich zu so etwas wie einer Antwort gekommen war, war es zu spät und er zu müde gewesen, um sich noch einmal an den Computer zu setzen. Deshalb stand er heute zum ersten Mal in seiner aktiven Zeit als Pfarrer zwanzig Minuten vor dem Gottesdienst ohne fertige Predigt da. Außerdem war heute Pfingsten, und wenn der Geist Gottes sich überhaupt je mit einem Wunder bemerkbar machen sollte, dann war dies der passende Tag dafür. Und jetzt fehlten in der Schublade auch noch die Beffchen. »Johannes!«, brüllte er durchs Pfarrhaus. Die Kinder waren früh am Morgen zurückgekommen, um ihn in die Kirche zu begleiten. Sein Sohn erschien unschuldig grinsend auf der Schwelle zu seinem Zimmer. »Ja, Papa?«
»Johannes, hast du meine Beffchen weggenommen?«
Die prompte Antwort hatte er erwartet, aber sie gefiel ihm deshalb nicht besser: »Nein, Papa.«
»Schon gut, zieh dich an«, brummte der Pfarrer, der merkte, wenn eine Schlacht nicht mehr zu gewinnen war. Es wurde Zeit, dass Adi wieder heimkam.
Immerhin in einer Hinsicht hatte dieser Pfingstsonntag mit etwas wie einem Wunder begonnen: Es regnete nicht mehr. An einem fahlblauen, fast wolkenlosen Himmel hing eine blasse Sonne, deren Strahlen noch die Leuchtkraft fehlte, aber der Tag versprach warm und frühsommerlich zu werden. Pfarrer Herwig Römer überquerte mit seinen Kindern kurz vor zehn die Dorfstraße in Buchfeld und trat in die trutzige kleine Kirche ein – mit
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