Salambo
durch einen Gang geleitet, der durch die westliche Hafenmauer nach dem Khamon-Tempel führte. Die weite Wasserfläche des Kriegshafens war rund wie eine Trinkschale und von einem Kai mit zweihundertzwanzig radial angeordneten Schiffshallen â für je eine Pentere 1 â eingefasst. Vor ihnen, über den Trennungsmauern der Dockrinnen, ragte je eine Säule mit Ammonshörnern an den Kapitellen. Dadurch entstand eine fortlaufende Reihe, ein Säulengang, rings um das Hafenrund. In der Mitte, auf einer Insel, erhob sich das Haus des Admirals.
Das Wasser war so klar, dass man bis auf das weiÃe Kieselsteinpflaster des Grundes hinab sehen konnte. Der StraÃenlärm drang nicht bis hierher. Im Vorbeifahren erkannte Hamilkar die Schlachtschiffe, die er früher befehligt hatte. Es waren ihrer nur noch etwa zwanzig. Sie lagen in den Schiffshallen, einige auf die Seite geneigt, andere aufrecht auf dem Kiel, mit sehr hohem Heck und geschweiften Schnäbeln, die mit Vergoldungen und mystischen Symbolen geschmückt waren. Die Schimären hatten ihre Flügel verloren, die Götterbilder ihre Arme, die Stiere ihre silbernen Hörner. Alle diese Schiffe waren verblichen, untätig, morsch, doch voller geschichtlicher Erinnerungen und noch immer vom Duft ihrer weiten Fahrten umweht. Wie invalide Soldaten, die ihren alten Hauptmann wiedersehen, schienen sie ihm zuzurufen: âHier sind wir! Und auch du bist besiegt!â
Niemand auÃer dem Meer-Sufeten durfte das Admiralshaus betreten. Solange man nicht den Beweis für seinen Tod hatte, betrachtete man ihn als noch am Leben. Die Alten hatten sich dadurch eine Zeit lang einen neuen Herrn erspart. Auch bei Hamilkar hatten sie gegen diesen Brauch nicht verstoÃen.
Der Sufet betrat die öden Räume. Auf Schritt und Tritt sah er Rüstzeug, Gerät und Gegenstände wieder, die ihm bekannt waren und ihn im Augenblick doch überraschten. In der Vorhalle lag in einer OpÂferpfanne noch die Asche des Räucherwerks, das bei der Abfahrt verbrannt worden war, um Melkarths Gunst zu beschwören. So hatte er nicht heimzukehren gehofft! Alles, was er vollbracht und erlebt hatte, zog wieder an seinem Geist vorüber: die Sturmangriffe, die Feuersbrünste, die Legionen, die Seestürme, Drepanum, Syrakus, Lilybäum, der Ãtna, die Hochfläche des Eryx, fünf Jahre voller Kämpfe â bis zu dem Unglückstag, an dem man die Waffen niedergelegt und Sizilien verloren hatte. Dann wieder sah er Limonenhaine, Hirten und Ziegen in den grauen Bergen, und sein Herz pochte bei dem Gedanken an das neue Karthago, das dort drüben erstehen sollte. Pläne und Erinnerungen schwirrten ihm durch den Kopf, der noch vom Schwanken des Schiffes betäubt war. Bangigkeit bedrückte ihn, und plötzlich empfand er das Bedürfnis, sich den Göttern zu nähern.
Er stieg in das oberste Stockwerk des Hauses hinauf, entnahm einer goldenen Muschel, die an seinem Arm hing, einen Schlüssel und öffnete ein kleines Zimmer, dessen Wände ein Oval bildeten.
Durch dünne schwarze Metallscheiben, in die Mauer eingelassen und durchschimmernd wie Glas, sickerte schwaches Licht. Zwischen den Reihen dieser Scheiben waren Nischen in der Wand, wie in Grabkammern für die Urnen. In einer jeden lag ein runder, dunkler, schwerer Stein. Menschen von höherer Einsicht verehrten diese vom Mond gefallenen Wundersteine. Aus Himmelshöhen gekommen, waren sie Symbole der Gestirne, des Himmels und des Lichts. Wegen ihrer Farbe gemahnten sie an die dunkle Nacht und durch ihre Schwere an den Zusammenhang aller irdischen Dinge. Eine erstickende Luft erfüllte diesen geheimnisvollen Raum. Seesand, den wohl der Wind durch die Tür herein getrieben hatte, überzog die runden Steine in den Nischen mit leichtem WeiÃ. Hamilkar zählte sie mit der Fingerspitze, einen nach dem anderen. Dann hüllte er sein Antlitz in einen safrangelben Schleier und warf sich mit ausgestreckten Armen zu Boden.
DrauÃen traf das Tageslicht auf die schwarzen Scheiben. Zweigartige Schatten, kleine Hügel, wirbelnde Linien, unbestimmte Tierformen zeichneten sich auf den matthellen Platten ab. Das Licht drang hindurch, grausig und doch friedsam, wie es hinter der Sonne in den düsteren Werkstätten der Schöpfung sein mag. Hamilkar bemühte sich, aus seinen Gedanken alle Formen, Symbole und Benennungen der Götter zu verbannen, um besser den
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