Salambo
gellte ein schriller Schrei durch die Luft. In der Nähe der Küchen kauerten Männer zwischen zerfetzten Kleidungsstücken und abgerissenen Haaren und schürten mit Fächern die Kohlen. Geruch von verbranntem Fleisch stieg empor. Die GegeiÃelten brachen zusammen, doch die Stricke an ihren Armen hielten sie hoch. Sie schlossen die Augen und lieÃen die Köpfe von einer Schulter zur anderen fallen. Die übrigen, die noch zusahen, begannen vor Entsetzen zu schreien, und die Löwen, die sich vielleicht des Festtages erinnerten, reckten sich gähnend hinauf zum Rand ihrer Gruben.
Da erblickte man Salambo oben auf ihrer Terrasse. Sie lief vor Entsetzen hin und her. Hamilkar bemerkte sie. Es schien ihm, als ob sie die Arme gegen ihn ausstreckte, um seine Gnade zu erbitten. Mit einer Gebärde des Abscheus wandte er sich dem Tierpark zu.
Die Elefanten waren der Stolz der vornehmen punischen Häuser. Sie hatten die Vorfahren getragen, in den Schlachten gesiegt, und man verehrte sie als Lieblinge der Sonne. Die von Megara waren die stärksten in Karthago. Vor seiner Abreise hatte Hamilkar Abdalonim schwören lassen, dass er sie auf das Beste behüten solle. Doch die meisten waren an ihren Verstümmelungen eingegangen, und nur drei lagen noch in der Mitte des Hofes im Sande vor ihren zertrümmerten Krippen.
Sie erkannten den Sufeten und kamen auf ihn zu.
Dem einen waren die Ohren fürchterlich zerschlitzt, der andere hatte am Knie eine breite Wunde, dem dritten war der Rüssel abgehauen. Die Tiere blickten ihren Herrn traurig wie denkende Wesen an, und der eine, der keinen Rüssel mehr hatte, versuchte, indem er die Knie beugte und seinen riesigen Kopf herab neigte, ihn mit dem Stumpf seines Rüssels zu streicheln.
Bei dieser Liebkosung des Tieres traten Hamilkar Tränen in die Augen. Er stürzte auf Abdalonim los.
âHa! Elender! Ans Kreuz! Ans Kreuz!â
Ohnmächtig fiel Abdalonim nach rückwärts zu Boden.
Hinter der Purpurfabrik, aus der blauer Rauch langsam zum Himmel schmauchte, ertönte ein Schakalschrei. Hamilkar blieb stehen.
Der Gedanke an seinen Sohn hatte ihn plötzlich beruhigt, als ob ihn ein Gott berührt hätte. In ihm glaubte Hamilkar seine eigenen Kräfte fortlebend, sein Ich ins Unbegrenzte weiter dauernd. Die Sklaven begriffen freilich nicht, warum er mit einem Male besänftigt war.
Iddibal mit dem Sohn wartete offenbar die Nacht ab, ehe er das entscheidende Zeichen gab. âNoch hab ich Zeit!â dachte Hamilkar und stieg in den Kerker hinab.
Auf dem Wege nach der Purpurfabrik kam er am Gefängnis vorüber, einem langen Gebäude aus schwarzen Steinen, das in einer groÃen viereckigen Grube erbaut war. Ringsum lief ein kleiner Steg mit Treppen an den vier Ecken.
âKehre um!â riefen ihm einige zu. Die Beherzteren folgten ihm.
Der Wind spielte mit der offenen Tür. Durch die engen Fenster schien das Abendrot. Man sah im Innern zerbrochene Ketten an den Wänden hängen.
Das war von den Kriegsgefangenen übrig geblieben!
Da wurde Hamilkar totenbleich, und seine Begleiter, die sich von drauÃen über die Grube neigten, sahen, wie er sich mit der Hand an die Mauer stützte, um nicht umzufallen.
Der Schakal schrie dreimal hintereinander. Hamilkar blickte auf. Er sprach kein Wort, machte keine Gebärde.
Als die Sonne völlig untergegangen war, verschwand er hinter der Kaktushecke. Am Abend, in der Versammlung der Patrizier im Eschmun-Tempel, erklärte er beim Eintreten: âVon den Göttern Erleuchtete! Ich nehme den Oberbefehl unserer Armee gegen das Heer der Barbaren an!â
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1 Die Pentere, auch Quinquireme (lat.), war eine karthagische Weiterentwicklung der Triere. Sie war 40 m lang und hatte 310 Ruderer
2 Subura, auch Suburra, Viertel der Armen und Sklaven in Rom
3 Die Legende, das die Punier das Kap der Guten Hoffnung umrundet und den Seeweg nach Arabien und Indien gefunden hätten, ist umstritten.
4 Pferde aus den berühmten Gestüten Oringis in Spanien
5 Silphium, starkes, aromatisches Gewürz und Handelsartikel
Kapitel 8
Die Schlacht am Makar
Schon am folgenden Tag beschlagnahmte Hamilkar von den Syssitien Zweihunderttausend Gold-Kikas und legte jedem Mitglied der dreihundert Patriziergeschlechter eine Kopfsteuer von vierzehn Sekel auf. Selbst die Frauen und Kinder wurden besteuert. Ja, die Priesterschaften â etwas Unerhörtes nach karthagischer
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