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Salamitaktik

Salamitaktik

Titel: Salamitaktik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf H. Dorweiler
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hatten, ein einfacher, braunroter Webteppich und in einer Ecke mehrere Trommeln und andere Instrumente. Mario erkannte eine Marimba, ein Brett als Resonanzkörper, auf dem verschieden lange Metallzungen so angebracht waren, dass man sie mit den Daumen anschlagen und erklingen lassen konnte. Irfan schien sich von den Instrumenten angezogen zu fühlen, zumindest schaute er sie sich recht lange an.
    Die andere Hälfte der Einrichtung war nicht nur europäisch zu nennen, sondern klischeehaft klassisch deutsch: ein breiter, mit dunkelgrünem Stoff bezogener Dreisitzer im Gelsenkirchener Barockstil, eine Eichenschrankwand mit beleuchteten Vitrinenelementen und Platz für den Fernseher, eine fast spacige Lampe, die dem schmutzigen Orange des Lampenschirmes nach aus den siebziger Jahren stammen musste. Das Wohnzimmer machte einen sehr bewohnten Eindruck. Eine Plastikflasche, in der sich noch ein Rest Wasser befand, stand an einem Bein des gläsernen Couchtisches. Die Glasfläche wurde von Zeitschriften und einem Teller, auf dem die Saucenreste bereits angetrocknet waren, allerdings fast komplett verdeckt. Auf dem Boden konnte man ein paar Krümel ausmachen, auf dem Sofa lag eine zerknüllte Wolldecke.
    Harry Mbene nahm die Decke und legte sie neben die Couch auf den Boden, um seinen Gästen Platz zu machen. Äußerst zuvorkommend bot er Mario und Irfan an, sich zu setzen, und trug anschließend den Teller in die Küche. Irfan schaute sich mit wachem Blick um, schien aber genauso wenig einen Hinweis auf den Verbleib des Koffers zu finden wie Mario. Der lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander, als Harry Mbene mit zwei grünen Gläsern voller blubberndem Wasser zurückkehrte. Er setzte sich auf einen der Stühle und blickte sie aus großen Augen an.
    Â»Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen«, sagte Irfan. »Als Dank für Ihre Teilnahme können Sie bis zu einhundert Euro bekommen, je nachdem, wie lange die Befragung dauert.«
    Â»Das ist eine schöne Überraschung«, sagte Harry Mbene mit dem typischen Akzent eines Schwarzafrikaners aus Ghana.
    Â»Unsere Umfrage behandelt das Postverhalten der Probanden«, begann Irfan mit einem Blick auf seinen leeren Block. »Wie oft bekommen Sie Post? Täglich, mehrmals die Woche, einmal pro Woche oder seltener?«
    Harry Mbene blickte angestrengt überlegend über seine beiden Gäste hinweg, bevor er sagte: »Eigentlich jeden Tag. Aber es gibt auch Tage, an denen nichts im Kasten ist.«
    Â»Dann notiere ich als Antwort ›mehrmals pro Woche‹.«
    Harry Mbene nickte und sagte: »Ja, ja.«
    Â»Kommen wir zur Art der Sendungen. Ich werde Ihnen verschiedene Kategorien nennen, und Sie sagen mir bitte, wie häufig Sie Sendungen der jeweiligen Kategorie in der letzten Woche per Post erhalten haben. Sie können wählen zwischen mehrfach, einmal und gar nicht.«
    Â»Fast jeden Tag Rechnung!«, griff Harry Mbene vor.
    Mario grinste über die Antwort. Ansonsten staunte er über die Souveränität, mit der Irfan die Fragen stellte und Harry Mbene nun auch klarmachte, dass dieser erst die Kategorien abwarten musste, bevor er antworten konnte.
    Â»Als Erstes kommen die Briefsendungen, also alles, was in einem normalen Briefumschlag verpackt ist. Haben Sie Briefsendungen in der letzten Woche bis heute mehrfach, einmal in der Woche oder gar nicht erhalten?«
    Â»Sind Rechnungen Briefsendungen?«
    Â»Ja.«
    Â»Dann schreiben Sie ›jeden Tag‹, Freund. Chips?« Harry Mbene stand auf, um aus einer Schublade der Schrankwand eine halb volle Chipstüte der Geschmacksrichtung »Salt and Vinegar« zu kramen. Mario hätte eher so etwas wie »Das Feuer Afrikas« erwartet.
    Harry Mbene schüttete die Chips in eine hölzerne Schale und stellte sie auf den Tisch. Irfan beachtete die Chips nicht, aber Mario griff beherzt zu, was ihm ein zustimmenden Nicken des Gastgebers und einen eisigen Blick von Irfan einbrachte.
    Â»Haben Sie in der vergangenen Woche bis heute Postkarten bekommen?«, fragte Irfan weiter und wiederholte die drei Antwortkategorien.
    Â»Postkarten? Gar nicht«, antwortete Harry Mbene.
    Irfan gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden. Auf dem Zettel, den sie in der Hose aus dem verwechselten Koffer gefunden hatten, stand als Überschrift »Karte an:«, sie mussten also davon ausgehen, dass der Besitzer Harry Mbene

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