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Salamitaktik

Salamitaktik

Titel: Salamitaktik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf H. Dorweiler
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wütend gewesen, als er mitbekam, dass sein Enkel in der alten Scheune Drogen herstellte. Aber als er gesehen hatte, dass es sich um Hanf handelte, hatte er zugegeben, in seiner eigenen Jugend selbst welches geraucht zu haben. »Und nichts geht über ein gutes Hanfseil«, sagte er immer. Zudem war ihnen bewusst, dass Großvaters Rente bei Weitem nicht ausreichte, um den Hof halten zu können. Oma Helene wünschte sich jedoch nichts mehr, als ihre Augen irgendwann einmal hier, wo sie die glücklichsten Zeiten ihres Lebens verbracht hatte, für immer zu schließen. Marios Großeltern wussten allerdings nicht, dass Mario neben der Hanfzucht auch noch ein paar andere Geschäfte am Laufen hatte. Die Kurierdienste würden sie ihm niemals durchgehen lassen.
    Aber Irfan ließ diesbezüglich nichts durchsickern. Er erklärte nur kurz, dass sie sich in Frankfurt kennengelernt und beschlossen hatten, sich gemeinsam die Gegend anzuschauen. Zum Glück hakte Oma Helene nicht weiter nach. Ihre Neugierde über den ungewöhnlichen Besucher war dennoch geweckt. Sie wollte gleich noch mehr Fragen loswerden, was Irfan aber freundlich und bestimmt zugleich auf »ein anderes Mal« verschob.
    Â»Wir schauen noch kurz bei Onkel Michael vorbei«, sagte Mario zum Abschied.
    Â»Nimm die Sonnencreme mit. Ich weiß nicht, ob er an seine Kappe gedacht hat«, sagte Oma Helene. Dass der nächste Satz noch für sie gedacht war, bezweifelte Mario, denn er hatte die Tür schon fast geschlossen, als er sie sagen hörte: »Ein angenehmer Mann von Welt, dieser Herr Irfan.«
    Links hinter dem Stall lag der kleine, vom Bach angestaute Teich, in dem ein paar Karpfen dicht unter der Wasseroberfläche die warme Sonne genossen. Marios Großvater schien wieder einmal recht zu behalten, denn ein Wind kam auf, der dunstige Wolken über den bisher noch fleckenlos blauen Himmel trieb. Ein Teil des Weihers war mit einem Jägerzaun eingefasst, hinter dem die Hühner auf lehmigem Boden nach Körnern pickend umherstakten. Der Hahn saß auf einem mannshohen Stapel Holzpaletten neben dem Hühnerschlag und beobachtete streng seinen Harem, nur unterbrochen von der gelegentlichen Pflege seines Gefieders. Die Hortensien, die zum Hang hin wuchsen, blühten in einem sanften Rotblau, und rechts vom Teich konnte man die Augen kaum von den gewaltigen Blüten des Kürbisses lassen, den Michael dort seit Jahren immer wieder anpflanzte.
    Â»Onkel Michael«, rief Mario.
    Â»Jaaa?«, tönte eine nasale Stimme aus dem Hühnerschlag.
    Â»Ich bin’s, Mario.«
    Es verging keine Sekunde, da tauchte Onkel Michael in der Tür des Hühnerschlags auf. Er trug seine blaue Latzhose und ein kariertes Hemd, das an der Seite herausstand. Während er lachend auf das Törchen zugelaufen kam, dachte Mario, dass er Irfan vielleicht vorher hätte erklären sollen, dass sein Onkel Michael nicht ganz so war wie anderer Leute Onkel.
    Â»Maaariooo!«, rief Michael und öffnete das Tor. Er war recht dick, hatte weit auseinanderstehende, schmale Augen und schien über gar keinen Hals zu verfügen. Ein »Downie«, wie Mario ihn manchmal nannte. Ohne das Tor hinter sich zu schließen, rannte er ihm entgegen und fiel ihm glücklich in die Arme. Mario drückte ihn ganz fest.
    Â»Na, wie geht’s dir?«
    Â»Guut. Und dir?«
    Â»Super. Ich freu mich, wieder bei dir zu sein, mein Freund.«
    Â»Ich freu mich auch, mein Freund.«
    Sie ließen einander wieder los. Michael entdeckte jetzt Irfan und umarmte ihn ebenfalls. So war er einfach. Mario merkte Irfan an, dass er von der Situation überfordert war, und sagte: »Michi, lass ihn mal lieber.«
    Michael ließ sofort los. »Hallo«, sagte er jetzt zu Irfan und hielt ihm die Hand hin, die Irfan aber nicht ergriff.
    Â»Du hast ja deine Mütze an, dann brauchen wir die Creme gar nicht«, sagte Mario schnell, um Michael abzulenken, und hielt die Tube hoch. Wenn er eines nicht leiden konnte, war das, wenn jemand seinen Onkel nicht ordentlich behandelte.
    Â»Nein, ich habe die Mütze an. Keine Creme!« Michael klatschte fröhlich in die Hände. Dann erinnerte er sich an seine Hühner und lief zum Tor, um es schnell zu schließen, bevor eine der Hennen ausbüxen konnte.
    Â»Er hat das Downsyndrom. Kein Grund, sich ihm gegenüber blöde anzustellen«, sagte Mario leise, aber bestimmt.

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