Salamitaktik
die gute alte Polizeiarbeit war stets die gleiche geblieben, ob man Telefone überwachen konnte oder nicht, ob mit oder ohne DNA -Analyse. Wichtig waren der Kopf und die Sinne eines Kriminalisten. Wie viele Fälle hatte Schlageter gelöst, indem er einfach genau hingeschaut, alle Verdächtigen und Zeugen angehört und beim Schmecken des einen oder anderen Tröpfchens Wein sein Gehirn angeworfen hatte, um die Zusammenhänge zu begreifen und den Schuldigen hinter Gitter zu bringen? Es musste eine gewaltige Menge gewesen sein. Aber mit dem ganzen neuen technischen Zeugs kam heute keiner mehr mit. Der Polizeialltag eines Ermittlers bestand inzwischen hauptsächlich aus Computerarbeit. Schlageter erinnerte sich noch daran, wie vor fünfzehn Jahren die Schulungen begonnen hatten. Seltsame Typen präsentierten stolz, was man mit den neuen Geräten alles machen konnte. »Vergessen Sie Ihre Kenntnisse über Polizeiarbeit, ignorieren Sie, was Sie bisher wussten«, hatte in einem Anschreiben des Innenministeriums gestanden.
Schlageter hatte nie herausgefunden, ob sein flammender Antwortbrief an den Innenminister tatsächlich wie darin von ihm gefordert die Kündigung des für diese Zeilen Verantwortlichen erwirkt hatte. Wahrscheinlich nicht. Heute saÃen die jungen Kommissare mehr denn je in ihren Büros vor diesen Kisten und tippten wild auf ihren Tastaturen herum. Früher wäre so jemand von den eigenen Kollegen gesteinigt worden. In der Kürze lag die Würze des Polizeiberichts. Er war nötig, keine Frage, aber in der alten Zeit hielt er die Beamten nur von der echten Arbeit ab. Von der Arbeit drauÃen. Wo sie mit dem Arsch mitten drin im Schmutz der menschlichen Gelüste, der Habgier und der Perversionen steckten, statt ihn im Bürostuhl platt zu sitzen.
Schlageter schob die Akte zur Seite und befasste sich stattdessen mit dem Erstellen einer groÃen Einkaufsliste und dem Errechnen der benötigten Mengen für sein Chili con Carne. Zwischendurch tätigte er einen Anruf bei der Badischen Beamten-Band, die sich bereit erklärt hatte, bei seinem Abschied zu spielen. Die einzige Anfrage, die er umgehend gestellt hatte, als der Termin seiner Verabschiedung offiziell geworden war. Wenn es einen Grund gab, sich auf das Fest zu freuen, dann war es die BBB . Seit die Jungs zum ersten Mal locker bei einem Abschiedsfest eines Kollegen zusammengekommen waren, hatten sie â eine Sängerin war auch dabei â regelmäÃig zusammen gespielt und waren sogar schon in Stuttgart aufgetreten. Vor allem machten sie echte Musik, nicht dieses neumodische Computergedröhne. Hier wurde noch in die Tasten gehauen, das Schlagzeug zum Beben gebracht und die Saiten von Bass und Gitarre bis zum ReiÃen strapaziert. Vor allem aber waren die Musiker zum gröÃten Teil Kollegen. Beamte von der Polizei und dem Landratsamt, eine feine Gesellschaft.
Schlageters Festgesellschaft am Samstag würde auch recht fein werden. Insgesamt achtzig Einladungen waren rausgegangen, das hatte er sich von Helbach noch mal bestätigen lassen, als er die Fleischmengen für das Chili ausrechnete. Die Gäste würden Wein trinken und Bier, dazu brauchte er ein paar nichtalkoholische Getränke. Mit zwei Anrufen bestellte er die Getränke und war ganz stolz, dass er sogar noch einen Kaffeevollautomaten mieten konnte. Damit hatte er doch jetzt wirklich an alles gedacht. Morgen hieà es Einkaufen fürs Chili, und übermorgen konnte das Fest starten.
Irgendwie, Schlageter konnte sich das selbst kaum erklären, war es plötzlich Zeit geworden, den Feierabend anbrechen zu lassen. Helbach ging in letzter Zeit immer recht pünktlich und war wohl auch froh, dass die Zeiten so ruhig waren. Seine Frau hatte sich in der Vergangenheit nicht unbedingt darüber gefreut, dass Schlageter ihn oft auch auÃerhalb der normalen Dienstzeiten beanspruchte. Jetzt nahm auch Schlageter seine dünne Jacke, die er wegen des guten Wetters allerdings nicht mehr anzog, und machte sich auf den Weg nach Hause.
4
Martina war Schlaicher den Rest des Nachmittags konsequent aus dem Weg gegangen. Wenn er ins Erdgeschoss kam, tat sie immer sehr beschäftigt. Jedes Mal handelte es sich um Tätigkeiten, bei denen sie ihm unbedingt den Rücken zuwenden musste. Schlaicher stellte fest, dass Weng Kirchhoff ihr ein Zeichen gab, wenn sie ihn sah. Offenbar hatte Martina mit ihr über ihn
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