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Salamitaktik

Salamitaktik

Titel: Salamitaktik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf H. Dorweiler
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sich ohne Männer wohlzufühlen, und das wiederum änderte ihr Verhalten, wie Schlaicher feststellte. Als einer der wenigen Männer stand er etwas mehr unter Beobachtung, als ihm lieb war. Klauen konnte er so eigentlich nichts, allerdings sprach er öfter Frauen an, die unvorsichtig mit ihren Geldbörsen, Taschen oder Einkäufen umgingen. Meist schauten ihn die Angesprochenen dann verstört an. Eine sehr hellhäutige Frau, die von ihrer Statur her an die Malereien von Rubens erinnerte, flirtete auf die Ermahnung hin, ihre Tasche nicht unbeaufsichtigt herumstehen zu lassen, ziemlich ungeniert mit Schlaicher, der versuchte, sich ohne unfreiwilligen Körperkontakt aus der Schusslinie zu begeben. Andere Frauen packten ihre Sachen und hielten sie fast zwanghaft an sich gepresst. Allerdings schienen sie eher Sorge zu haben, dass er , Schlaicher, dieser seltsame Mann bei der Ladies Night, sie berauben könnte. Wenn er wieder weg war, ließ so manche der Angesprochenen ihre Tasche gleich wieder nachlässig aus den Augen.
    Natürlich hatte Schlaicher auch einen Blick auf diejenigen, die die bunte Warenwelt dazu verführte, etwas mitzunehmen, was sie später unbezahlt und versteckt an den Kassen vorbeitragen wollten. Nicht selten waren das Damen, das wusste er aus Erfahrung, die es gar nicht nötig hatten, ein T-Shirt anzuprobieren und damit unter der eigenen Kleidung wieder aus der Umkleidekabine zu kommen. Es gab viele, die stahlen, weil es ihnen einen Kick verpasste. Eine Frau in einer Burberry-Jacke konnte also genauso zur Diebin werden wie eine, die einen Kik-Mantel über dem Arm trug. Heute Abend war dafür allerdings ein denkbar schlechter Zeitpunkt. So etwas machte man besser allein. Sollte man trotz aller Vorsicht nämlich doch erwischt werden, würde man vor den Freundinnen bloßgestellt.
    Eine einzige Dame erwischte Schlaicher, als sie am Stand eines Fotografen die Menge der nebenan aufgestellten Strickwaren reduzierte. Ein Schal war plötzlich recht stümperhaft in ihrer Karstadt-Tüte verschwunden, in der sich schon bezahlte Waren befanden. Sie war um die fünfzig Jahre alt. Arm schien sie nicht zu sein, und auch die gleichaltrigen Frauen, mit denen sie gekommen war und die sich gerade nacheinander vom Fotografen ablichten ließen, waren zwar alle spindeldürr, aber eher, weil sie sich ein exklusives Training leisteten, nicht, weil sie etwa an Mangel litten.
    Schlaicher ging zu ihr und sagte: »Guten Abend. Mein Name ist Schlaicher. Ich gehöre zum Sicherheitsteam. Ich habe Sie beobachtet.« Sie wurde bleich. »Sie sollten vorsichtiger sein mit Ihren Sachen. Lassen Sie Ihre Tüten am besten nirgends unbeaufsichtigt stehen. Nicht dass ihnen jemand etwas einpackt, was sie gar nicht gekauft haben.«
    Sie war weiß wie ein unbeschriebenes Blatt Papier.
    Â»Schönen Abend noch«, verabschiedete sich Schlaicher. Er schaute nicht zurück, war sich aber sicher, dass der Schal innerhalb der nächsten Sekunden wieder an seinem Platz hängen würde. Der Schreck würde außerdem dazu führen, dass diese Frau keine Lust auf ein weiteres Diebstahlabenteuer bekam.
    Um Punkt zwanzig Uhr rief eine nasal klingende Stimme die Kundinnen per Durchsage zur Hauptveranstaltung des Abends zusammen: »Sehr verehrte Kundinnen, herzlich willkommen zur Ladies Night in Ihrem Karstadt-Warenhaus, Ihrem Ort zum Wohlfühlen. Wir sind sehr stolz, Ihnen heute Abend eine außergewöhnliche Premiere bieten zu können. Emanuelle Lefèvre, Kosmetik für Frauen, die immer schön bleiben wollen, präsentiert eine Showbehandlung der Extraklasse. Madame Emanuelle Lefèvre, die heute selbst vor Ort ist, freut sich, Ihnen ihre neue Linie ›Jeune‹ vorstellen zu können. Die Vorführung findet im Erdgeschoss statt.«
    Schlaicher brauchte ewig, um ins Erdgeschoss zu kommen, weil sich die Damen vor den Rolltreppen drängten wie die geballte Schmelzwasserflut vor der Verengung eines Flusses. Von der letzten Treppe aus sah er, dass die untere Etage schon fast überfüllt war. Die Tausendfünfhundert-Ladies-Marke hatte Gampp auf jeden Fall erreicht.
    Emanuelle Lefèvre stand auf einem kleinen Podest, damit die neugierige Frauenhorde sie besser sehen konnte. Sie hatte ein winziges Mikrofon umgeschnallt, um beide Hände für ihre Präsentation frei zu haben. Bombastische Musik ertönte, zum Höhepunkt des kurzen Stückes

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