Salamitaktik
gesprochen. Schlaicher hatte allerdings selbst auch genug zu tun. Nicht nur, dass er beim Aufbau eines Sonderstandes einen Umbau veranlasst hatte, weil die offen zum Probieren ausgestellten Schmuckstücke im Gedränge dazu verführt hätten, etwas mitgehen zu lassen. Er war auch vollauf damit beschäftigt, ein Auge auf Lutz zu werfen, der bei all seinen Tätigkeiten die Nähe der jungen Hostessen suchte, die sich und ihre Präsentationsstände überall im Haus auf den Einsatz am Abend vorbereiteten. Im Moment hielt er sich bei den Mädchen einer Tanzgruppe auf. Sie trugen grellbunte hautenge Kostüme und machten sich für ihre Zumba-Aufführung warm. Schlaicher wollte sie gerade vor den Anzüglichkeiten seines Mitarbeiters retten, da bemerkte er, wie Lutz nach einer neuerlichen Abfuhr im Weggehen nach einer Tasche griff und diese mitnahm. Ihn überkam ein äuÃerst ungutes Gefühl. Würde Lutz jetzt verschwinden und die Tasche durchsuchen, vielleicht sogar das darin befindliche Geld mitnehmen? Als Rache für die Abfuhr? Tatsächlich machte Lutz sich auf den Weg in den Personalbereich. Da war gerade nicht viel los. Schlaicher ging ihm nach. Er wartete eine Sekunde vor der Tür, die Hand auf dem kalten Griff, dann riss er sie auf. Der Gang war leer.
Einem inneren Impuls folgend, ging Schlaicher nach links und lauschte kurz an jeder Tür, ob dahinter etwas zu hören war. Dann hörte er tatsächlich etwas: »Hey, Chef!« Lutz kam grinsend den Gang entlang und winkte Schlaicher dabei zu. »Ich habe grade eine Tasche mitgehen lassen«, sagte er.
Kaum jemand würde einen solchen Satz als erleichternd wahrnehmen, doch bei Schlaicher war das so. Er legte Lutz beide Hände auf die Schultern und sagte: »Gut gemacht.«
Es war eine Geste, die das Verhältnis zwischen den beiden änderte. Lutz wirkte auf einmal regelrecht stolz, und Schlaicher gewann langsam so etwas wie Zutrauen.
»Ich habe die Tasche ins Detektivbüro gebracht. Da war ein Mädel bei den Tänzerinnen, ich sage dir, die war so scharf in ihrem Sporthöschen ⦠Aber total arrogant. Jetzt hat sie einen kleinen Denkzettel bekommen und wird sich zweimal überlegen, ob sie ihre Tasche einfach irgendwo stehen lässt, wo sie nichts zu suchen hat.«
»Und du willst die Tasche nachher zurückbringen und als Held dastehen?«
»Nee, lieber nicht. Sonst denkt die noch, ich hätte sie gestohlen.«
»Hast du doch auch.«
»Ja, aber nicht wirklich. Ich bin doch nur ein Testdieb. Einer von den Kaufhausdetektiven wird sie ihr wiedergeben.«
Der Abend rückte näher und damit der Beginn der Ladies Night. Schlaicher und Lutz waren eingeteilt, während der ersten Stunde die Damen am Eingang mit einem kleinen Geschenk zu begrüÃen. Schlaicher hatte Lutz dafür aus der Herrenabteilung ein ordentliches Hemd und ein Sakko besorgt, sodass er die Besucherinnen nicht gleich wieder vergraulte. Kaum dass Türen und Tore des Karstadt wieder geöffnet waren, strömten die Frauen nur so herein, und während Schlaicher die kleinen Präsente verteilte, klickte Lutz jedes Mal mit dem Zählgerät. Eintausendfünfhundert Gäste waren Gampps Ziel für diesen Donnerstagabend. Als die beiden von zwei anderen Mitarbeitern abgelöst wurden, hatte Lutz bereits neunhundertsiebenundachtzig Frauen gezählt. Die Damen waren altersmäÃig zwar sehr breit aufgestellt, Schlaicher konnte jedoch eine deutliche Ãberzahl der DreiÃig- bis Fünfzigjährigen feststellen. Die meisten schienen sich für den Abend besonders schick gemacht zu haben. Manche wurden von ihren Männern am Eingang abgesetzt, andere kamen in kleineren oder gröÃeren Gruppen und hatten die dazugehörigen Männer wohl gleich daheim gelassen. Viele Besucherinnen schienen gekommen zu sein, um einen schönen Abend zu erleben. Andere trugen bereits nach einer halben Stunde gleich mehrere Einkaufstüten mit sich herum. Auch drauÃen in Lörrachs FuÃgängerzone war einiges los. Andere Geschäfte hatten sich dem Event angeschlossen und präsentierten ebenfalls besondere Aktionen.
Drinnen im Kaufhaus war es richtig laut geworden. Vielleicht hatte das Gratisglas Sekt, das jede der Frauen zur BegrüÃung bekommen hatte, die Zungen gelockert. Oder es war einfach die besondere Situation, dass bis auf wenige Mitarbeiter nur Frauen da waren. Die schienen
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