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Salamitaktik

Salamitaktik

Titel: Salamitaktik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf H. Dorweiler
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nichts mehr. Und so war es auch. Der rote Ascona war verschwunden. Ganz schwach lag noch der Dieselgeruch in der Luft.
    Irfan verfluchte diesen lästigen deutschen Jungen. Was hatte ihn nur geritten, sich aus dem Staub zu machen? Jetzt hatte Irfan ein verdammtes Problem mehr. Noch dazu eines, dessen schlimmstmögliche Lösung ihm gar nicht gefallen würde. Er schlug wütend mit der flachen Hand gegen die Türzarge. Dann schloss er die Tür wieder. Er musste die Großeltern ausquetschen und herausfinden, wo sich der Kifferknabe vor ihm versteckte. Und dann sollte Allah seinem benebelten Hirn besser gnädig sein.
    Voller Wut – über Mario und auch über sich selbst – polterte er die Treppe hinauf und wandte sich dem Zimmer zu, in dem Marios Großmutter lag. Er klopfte nicht, sondern riss die Tür einfach auf und brachte der erschrockenen alten Dame sein Anliegen sogleich unmissverständlich vor: »Wo ist Mario hin?«
    Â»Sie haben mich erschreckt«, beschwerte sich die alte Dame und blickte ihn anklagend an. »In Zukunft sollten Sie anklopfen, bevor Sie in das Zimmer einer Frau eintreten.«
    Â»Mario ist weg.«
    Â»Ja, und?«
    Â»Wo ist er hin?«
    Oma Helene schaute Irfan weiterhin streng an. Der Blick einer Frau, die keine Angst vor ihm hatte.
    Â»Sagen Sie mir, wo er hingefahren ist. Das ist das Einfachste und Beste für alle.«
    Â»Ich weiß nicht, wie Mario es wieder geschafft hat, sich so großen Ärger aufzuhalsen«, sagte Oma Helene seufzend und lehnte sich wieder in ihr Kissen zurück. »Glauben Sie mir, er ist ein guter Junge. Warum hat er mit Ihnen zu tun?«
    Irfan bemerkte, dass seine Wut kein Sturm mehr war, sondern nur noch ein lauer Wind. Trotzdem bemühte er sich, weiterhin ein unnachgiebiges Gesicht zu machen.
    Â»Ich glaube, dass in Ihnen auch ein guter Junge steckt.«
    Â»Seien Sie da nicht so sicher.« Das klang weniger nach einer Drohung, als vielmehr nach einer Selbsterkenntnis.
    Â»Setzen Sie sich zu mir. Wir schwätzen ein bisschen, und dann sage ich Ihnen, wo der Mario steckt.«
    Irfan zögerte, nahm dann aber auf dem Sessel neben dem Bett Platz.
    Â»Sehen Sie. Es geht doch. Hat der Mario große Probleme?«
    Irfan blickte in zwei besorgt schauende Augen, in denen noch viel mehr steckte: die Weisheit eines langen Lebens. Oma Helenes Blick erinnerte ihn an den seiner Mutter, wenn er als Jugendlicher mit den »falschen Freunden« unterwegs gewesen war. Falsch waren die aus ihrer Sicht, weil sie damals schon für die Familie gearbeitet hatten. Irfans Vater hingegen hatte es gutgeheißen, dass sein Sohn schon früh Anschluss fand, und Irfans spätere Karriere unter der strengen Hand seines Schwagers unterstützt. Aber der Blick der Mutter hatte ihm manche schlaflose Nacht eingebracht. Heute wusste er, warum sie damals so geschaut hatte.
    Â»Mario hat sogar ziemlich große Probleme, wenn er sich wirklich davongestohlen hat.«
    Â»Davongestohlen?«
    Â»Eben ist der Wagen weggefahren.«
    Â»Und da denken Sie, er wollte sich davonstehlen? Wer sind Sie eigentlich wirklich?«
    Â»Ich bin derjenige, der dafür sorgen soll, dass sich die Probleme Ihres Enkels nicht ausweiten.«
    Â»Sie sollen auf ihn aufpassen? Im Guten oder im Schlechten?«
    Â»Wie meinen Sie das?«
    Â»Ich frage Sie nicht, was der Mario wieder angestellt hat. Ich will es gar nicht wissen. Ich frage Sie auch nicht, was Sie selbst so alles auf dem Kerbholz haben – obwohl ich denke, dass Sie bestimmt eine Menge zu beichten hätten. Ich will von Ihnen nur wissen, ob Sie meinem Enkel helfen wollen, oder ob das Aufpassen, wie Sie es nennen, eher eine Art Bewachung ist, damit Sie ihm irgendwann etwas Schlimmes antun können.«
    Irfan war beeindruckt von dem klaren, wachen Geist der alten Frau, die da unbeweglich vor ihm in ihrem Bett lag und eine Situation analysierte, die sie in ihrem eigenen Leben sicherlich nicht oft erlebt hatte.
    Â»Ich möchte ihm nichts tun.«
    Â»Ist denn sonst jemand hinter ihm her?«
    Irfan atmete tief durch. »Ich denke, es genügt, wenn Sie wissen, dass Mario etwas verloren hat, was meinem Auftraggeber sehr wichtig ist.«
    Â»Und Sie helfen ihm, das zu suchen?«
    Â»Ja. Man könnte sagen, dass es mein Beruf ist, Dinge und Leute zu finden. Es ist allerdings nicht hilfreich, dass er versucht, vor mir wegzulaufen. Das wirft ein sehr schlechtes

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